Gesundheitsökonomie

Vom Chefarzt zum Topmanager

01.10.2012 -

Krankenhäuser müssen zunehmend wie Unternehmen und Chefärzte wie Top­manager agieren. Doch bleibt dabei das medizinische Ethos nicht zwangs­läufig auf der Strecke?

„Da wir aus Ärzten Kaufleute machen, zwingen wir sie, die Handelskniffe zu erlernen." Der irische Schriftsteller George Bernard Shaw formulierte diesen Satz viele Jahrzehnte vor unserer Zeit - und doch scheint er die heutige Lage unseres Gesundheitssystems auf den Punkt zu bringen. Krankenhäuser und Kliniken sind verstärkt Effizienzzwängen ausgesetzt und geraten unter Druck, andere Strategien der Organisation und andere Führungsmodelle zu finden. Neue Tarifabschlüsse, Gesundheitsreformen, verstärkte Netzwerkkooperationen, der Trend hin zur Privatisierung und im Gegenzug der Rückzug steuernder Gesundheitspolitik sorgen für Dynamik und gestiegene Anforderungen an Mediziner in verantwortlichen Positionen: Fallzahlen müssen gesteigert, Kosten gering gehalten und kompetentes Personal akquiriert werden.

All diese Trends zeigen klar in dieselbe Richtung: Mehr und mehr sind Krankenhäuser Wettbewerbssituationen ausgesetzt, und zunehmend bewegt sich ihr Führungspersonal innerhalb eines wirtschaftlichen Bezugsrahmens. Führungspersonen im medizinischen Sektor können nicht mehr umhin, Lösungen zu finden, die derselben wirtschaftlichen Logik entstammen wie ihre Probleme. In anderen Worten: Vom Chefarzt wird immer mehr verlangt, dass er neben der Arztrolle auch Funktionsbereiche eines Topmanagers erfüllt.

Viele Chefärzte, Ärzte und Pflegefachkräfte betrachten diese Entwicklung mit Bauchschmerzen: Sind „Kaufleute" mit ihren „Handelskniffen" wirklich die Art von Köpfen, die wir an der Spitze unserer Kliniken sehen wollen? Wenn die Logik der Wirtschaft Entscheidungen bestimmt, welche Rolle bleibt dann noch dem medizinischen Ethos?

Interessanterweise zeigt die Praxis, dass ökonomische Effizienz und medizinischer Anspruch prinzipiell zwei Dynamiken sind, deren synthetischer Einfluss Organisationen guttun kann. Zwar kennen wir tatsächlich genügend Missstände, die darauf beruhen, dass eine Gesundheitseinrichtung entweder auf der einen oder auf der anderen Seite „vom Pferd fällt" - die Vernachlässigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte rächt sich eben genauso wie der Ausverkauf der eigenen Werte. Doch gleichzeitig bewirkt eine gelungene Verbindung beider Aspekte positive Entwicklungen, die weit über die „Aufhübschung" von Bilanzen hinausgehen. Drei Thesen zu diesem Sachverhalt:

Erstens: Nicht alle Impulse, die aus der „Wirtschaft" kommen, entspringen einem herzlosen Krämerseelen-Denken. Die ökonomische Theorie gibt sich zwar weitgehend frei von moralischen Dimensionen. Doch in allen Branchen wird mit Menschen gearbeitet, weshalb im Laufe der Zeit ein Inventar aus sehr nützlichen Führungstheorien und -methoden entstanden ist. Fragen der dynamischen und flexiblen Organisationsstruktur, Führungsprobleme, Teamdynamiken oder individuelle Coaching-Bedarfe treten überall auf, wo Menschen zusammenarbeiten, und der zunehmend professionelle Angang solcher Herausforderungen wird auch in Krankenhäusern als Zugewinn empfunden, wo vor allem alte hierarchische Führungsmodelle zunehmend an Plausibilität verlieren.

Zweitens: Der Effizienzdruck zwingt Krankenhäuser dazu, ihre Führungs- und Nachwuchsführungskräfte zu unterstützen. Ähnlich wie Universitätsprofessoren müssen Chefärzte sich über viele Jahre hinweg fachlich-medizinisch ausbilden lassen und anschließend weitere lange Jahre harte fachlich-medizinische Arbeit verrichten. Wenn sie schließlich in einer Führungsposition angekommen sind, erwartet sie jedoch zusätzlich ein Aufgabenprofil erfahrener Topmanager: Sie müssen Ressourcen und Prozesse managen, Menschen führen, das Markenimage der Organisation fördern, Netzwerke aufbauen und Identifikationsfigur für die Öffentlichkeit sein. Viele klinische Organisationen investieren bis dato jedoch noch wenig bis gar nicht in die Weiterentwicklung ihrer Ärzte hin zu solchen Führungspersönlichkeiten - diesen Missstand werden Krankenhäuser zwangsläufig ändern müssen, wenn sie wirtschaftlich überleben wollen.

Drittens: Wenn Krankenhäuser sich effizienter organisieren müssen, stellen sie automatisch ihre Strukturen infrage. In aller Regel ist das Resultat solcher Reflexionen in Kliniken, dass die eigenen Hierarchien als viel zu steil und daher als nicht mehr sehr funktional eingestuft werden. Die hohe Priorisierung ökonomischer Aspekte birgt auch eine Chance auf flachere Strukturen, auf mehr Partizipation und auf Prozesse, die bewusst reflektiert statt aus bloßer Gewohnheit ewig reproduziert werden. Die Abbildung kaufmännischer Themen in der Struktur muss auch nicht zwangsläufig dazu führen, dass Chefärzte in der Führung durch Ökonomen ersetzt werden. Unserer Erfahrung nach hat sich eine fachübergreifende Durchmischung der Führung bewährt, denn sie spiegelt die erforderliche Synthese aus medizinischer und wirtschaftlicher Expertise, aus traditionellen Werten und aktuellem General-Management-Wissen am besten wider. Ebenso hat die klassische Verwaltungseinheit in Krankenhäusern ausgedient, auch hier müssen neue Rollen und Funktionsbereiche integriert werden.

Meist sieht man solche strukturellen Veränderungen in der Ausgründung angeschlossener, neuer medizinischer Organisationseinheiten, die wie Pilze aus dem Boden schießen. In den Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) mit deren anderen rechtlichen Rahmenbedingungen und Strukturen sind die Ärzte direkt aufgefordert, neue Wege der Führung zu leben. Gleiches gilt im Betrieb der klassischen Großpraxen, die oft zum frustrierten „Ableger" hoch qualifizierter Klinikärzte werden, die alten Führungs- und Hierarchiemodellen entschwinden wollen, ohne dafür aber neue und andere Modelle der Führung entgegenzusetzen. Dies wird meist erst in einer gewissen Größenordnung des Praxisbetriebs zur Herausforderung.

Fazit

Dass dem Wandel der Rahmenbedingungen im medizinischen Bereich auch ein Wandel der betroffenen Organisationen folgen muss, steht außer Frage. Das Resultat eines solchen Veränderungsprozesses hängt jedoch sehr davon ab, wie gut der Kulturwandel begleitet und reflektiert wird, wie gut die alten Werte und Leitlinien in die neue Organisation überführt werden und wie gut der Sprung zur „lernenden Organisation" gelingt, die heute und in Zukunft zwischen medizinischer Praxis und betriebswirtschaftlichem Effizienzdenken eine gute Balance findet und dafür kreativere Lösungen denken muss, als sie es gestern getan hat.

 

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