Hygiene

Hochkomplexe Medizin erfordert neue Hygiene-Kultur

23.09.2013 -

Nachhaltige Infektionsprävention fordert vor dem Hintergrund der drastischen Zunahme Antibiotika-resistenter Erreger mehr als reines Benchmarking - Perspektiven der Krankenhaushygiene erläutert Prof. Dr. Martin Exner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH).

M&K: Perspektiven in der Krankenhaushygiene - wo liegen die aktuellen Probleme?

Prof. Dr. Martin Exner: Die Medizin hat sich zu einem hochkomplexen System entwickelt. Operative Möglichkeiten wie auch medizintechnische Innovationen bieten ein immer größeres Diagnose- und Therapiespektrum - für eine immer größer werdende Zahl an Patienten, hierunter auch Risikogruppen, wie extrem Frühgeborene und multimorbide alte Menschen. Nosokomiale Infektionen und die Zunahme Antibiotika-resistenter Erreger stellen inzwischen eine Gefahr für die medizinische Spitzenversorgung dar. Während immer weniger antimikrobielle Substanzen zugelassen werden, ist die geradezu atemberaubende Zunahme von Antibiotika-Resistenzen zum manifesten Risiko für die öffentliche Gesundheit geworden. Dabei wird immer deutlicher, dass das Warten auf neu entwickelte Antibiotika keine realistische Option mehr ist. Aktuelle Titel von Editorials in hochrangigen internationalen Journals, wie „The international threat of antimicrobial resistance: the perils of paradise" oder „Protecting the patients in the chaos" künden von der Dramatik der Situation, die vielen noch nicht bewusst ist. Wir sind derzeit in einer Übergangsperiode.

Dem gegenüber steht ein Präventionspotential klinikassoziierter Infektionen, das deutlich höher als die immer wieder genannten 30 % anzusetzen ist. Strategien sind vorhanden - jetzt liegt es an deren konsequenter Umsetzung.

Zunahme und Verdichtung von Leistung einerseits - Perzeption in Öffentlichkeit und Politik andererseits.

Prof. Dr. Martin Exner: Der Trend zu einer höheren Aufnahmerate bei gleichzeitig höherer Entlassungsrate ist seit Jahren zu beobachten. Nach einem Bericht des Deutschen Ärzteblattes ist die Zahl der Operationen und anderer stationärer Maßnahmen 2010 im Vergleich zum Vorjahr um gut 5 % gestiegen. Hieraus folgt die Verdichtung pflegerischer und ärztlicher Leistungen bei gleichem Personalschlüssel. Im Ergebnis: ein erhöhtes Risiko für Hygienemängel.

Dem gegenüber steht ein Wandel in der Risikoperzeption der Bevölkerung von der persönlichen Bedrohung durch Umweltschadstoffe in den letzten 20 Jahren hin zur Bedrohung durch Infektionserreger. Hohe mediale Präsenz und politische Handlungsbereitschaft fördern in der Gesellschaft die Erwartungshaltung, dass alles zur Vermeidung nosokomialer Infektionen getan werde. Folglich nimmt die Bereitschaft in der Bevölkerung deutlich ab, diese Erkrankungen als schicksalhaft hinzunehmen.

Sie fordern eine neue Kultur der Hygiene und Infektionsprävention!

Prof. Dr. Martin Exner: Das ist richtig. Wir müssen uns zum Ziel setzen, nicht nur zu messen und uns mit dem Erreichen durchschnittlicher Infektionsraten nach den Kriterien des Benchmarkings zufriedenzugeben, sondern wir brauchen eine Kultur der Sicherheit, die sich vom reinen Surveillance-Denken weiterentwickelt mit dem Anspruch, präventable nosokomiale Infektionen so weit wie möglich zu vermeiden.

Von der reaktiven Strategie hin zur pro-aktiven Hygiene.

Die jetzt relevant gewordenen Antibiotika-resistenten nosokomialen Gram-negativen Erreger stellen bei lange andauernder Kolonisation von Patienten ohne Sanierungsmöglichkeiten - anders als bei MRSA - aufgrund ihres hohen Persistenzvermögens im Patientenumfeld wie auch in Feuchtbereichen eine besondere Herausforderung an moderne Hygiene-Strategien. Dabei erhalten Desinfektion und Reinigung - im Gegensatz zu den im letzten Jahrzehnt propagierten Thesen, das Patientenumfeld sowie die Reinigung und Flächendesinfektion seien nahezu bedeutungslos - wieder einen neuen Stellenwert als Teil einer umfassenden Präventionsstrategie. Dazu zählt auch eine bessere hygienisch-mikrobiologische Verifizierung des Erfolgs von Hygienemaßnahmen.

Erste positive Entwicklungen sind bestimmt erkennbar?

Prof. Dr. Martin Exner: Eine gute, von allen politischen Parteien unterstützte gesetzliche Verankerung - nicht zuletzt auch auf Initiative der DGKH - ist mit der erstaunlich kurzfristig erarbeiteten Novellierung des IfSG geschaffen, wodurch auch die Länder veranlasst wurden, endlich Krankenhaushygieneverordnungen zu verabschieden. Ebenfalls vorhanden ist eine gute Codifizierung (KRINKO, DGKH-Leitlinien, Desinfektionsprüfung und VAH-Listung). Auch die qualitativ verbesserte Ausbildung des Hygienefachpersonals oder von Hygienefachpflegekräften ist zu nennen. Dennoch ist zu beklagen, dass die Ausbildung von Krankenhaushygienikern und von Fachärzten für Hygiene zu schleppend verläuft. Insgesamt aber erfährt der Prozess jetzt die dringend benötigte politische Unterstützung. Aber der Weg ist noch lange nicht zu Ende.

Wie sollten künftige Strategien aussehen?

Prof. Dr. Martin Exner: Beginnend bei der Ausbildung, muss der Stellenwert von Hygiene und insbesondere von Krankenhaushygiene konsequent erhöht werden. Dies betrifft sowohl das Medizinstudium wie auch die Ausbildung in Pflegeberufen und setzt sich fort beim Reinigungs- und Desinfektionspersonal sowie bei Mitarbeitern in Technik und Administration. Zukünftigen Generationen des medizinischen Personals muss ein gutes Fundament in der modernen Hygiene bereits während der Ausbildung mit auf den beruflichen Weg gegeben werden und nicht erst als Fortbildungsmaßnahme während des schon ausgeübten Berufs - wie die Händehygiene-Kampagne, so wichtig diese auch ist. Der rationale Umgang mit Antibiotika muss ­systematisch trainiert werden, ­Antibiotic Stewardship als Programm zum qualifizierten Erlernen einer adäquaten antibiotischen ­Therapie muss fester Bestandteil des klinischen Alltags werden. Resistenzvermeidung ist ein gemeinsames Ziel von Krankenhaushygiene und Antibiotic-Stewardship-Programmen.

Um auch Forschung und experimentelle Hygiene sicherstellen zu können, müssen die zwischenzeitlich geschlossenen Hygiene-Lehrstühle entsprechend einem Beschluss des Deutschen Ärztetages wieder an den medizinischen Fakultäten eingerichtet werden und ein Netzwerk universitärer Hygiene-Institute bilden. Hier sind die medizinischen Fakultäten gefordert.

Neben reiner wissenschaftlicher Evidenzbetrachtung müssen auch der Besorgnisgrundsatz und die Erfahrung aus der guten medizinischen Praxis stärkere Integration in Hygiene-Leitlinien erfahren und nicht erst, wenn die letzten Wiesen der medizinischen Erkenntnis erschlossen sind. Hierzu zählt auch eine bessere Integration der Patientenvertretung.

Bei wem liegt die Verantwortung?

Prof. Dr. Martin Exner: Die Krankenhaushygiene muss zweifelsfrei als Führungsaufgabe angelegt sein. Betrieblich-organisatorische Kriterien, wie die Personalausstattung, und auch baulich-funktionelle Aspekte, wie Entscheidungen über häufig dringend notwendige Investitionen, gehören eindeutig in den Verantwortungsbereich der Klinikleitung. Hygiene ist keine Thematik, die man an Hygienefachkräfte alleine delegieren kann.

Es sind aber auch die Länder und die Kostenträger gefordert, da wir gerade im baulich-funktionellen Bereich einen Investitionsstau haben, um z.um Beispiel die gestiegenen Forderungen nach Isolierungsmöglichkeiten erfüllen zu können.

Die medizinischen Leistungen und deren Umfang müssen sich wieder stärker am verfügbaren Personal gerade in der Pflege orientieren. Pflegekräftemangel muss als einer der wichtigsten Risikofaktoren für nosokomiale Infektionen angesehen werden. Es muss auch aus krankenhaushygienischer Sicht in die Verfügbarkeit von Pflegekräften investiert werden und der Beruf wieder - auch finanziell - attraktiv werden. Der Import ausländischer Pflegekräfte ist kurzfristig eine Option, langfristig jedoch nicht! Ganz abgesehen davon, dass man den anderen Ländern, deren Gesundheitswesen wie in Griechenland ohnehin schon am Boden liegt, qualifizierte Kräfte entzieht. Hier muss unsere Gesellschaft neue Prioritäten setzen und sich ihrer Verantwortung bewusst werden.

Ebenso fällt hierunter die Objektivierung unzureichender Hygiene und entsprechender Folgen. Beispielsweise sollten Chefarztverträge an gutes Hygienemanagement gekoppelt sein. Bei nachweislich unzureichender Hygienestruktur müssen Entscheidungen für das System der Patientenversorgung getroffen werden. Ein spezifisches Problem in Deutschland ist, dass Konsequenzen erst erfolgen, wenn Ausbrüche bereits eingetreten sind.

Kann Ausbruchsmanagement verlorenes Vertrauen wieder herstellen?

Prof. Dr. Martin Exner: Das Ziel muss sein, Ausbrüche grundsätzlich zu vermeiden. Dies wird nicht vollständig gelingen. Jede Einrichtung kann von einem Ausbruch betroffen sein und muss hiermit rechnen. Wenn es zum Auftreten von Ausbrüchen gekommen ist, muss so rasch und strukturiert wie möglich reagiert werden, um das Feuer zu löschen, bevor es zum Flächenbrand kommt. So ist in Sachsen ein Carbapenemase-bildender Klebsiella-pneumoniae-Stamm offensichtlich endemisch geworden, weil möglicherweise zu wenig entschlossen gehandelt wurde. Wichtig ist, alle Akteure frühzeitig zu informieren und ein Ausbruchsmanagement-Team zu bilden. Hierzu zählen Vertreter der betroffenen Klinik, das Gesundheitsamt, bei Fehlen eigener Experten die Hinzuziehung von qualifizierten Hygienikern. Dabei sind auch regionale MRE- Netzwerke sehr wichtig.

Ein strukturiertes Ausbruchsmanagement als Beitrag zum QM ist derzeit noch in zu wenigen Kliniken vorhanden, obwohl die Erkenntnisse entscheidend für Ursachenklärung und Haftungsfragen sind. Das Ausbruchsmanagement muss so zeitnah wie möglich unter Ausschöpfung moderner Analyse- und Typisierungstechniken stattfinden. Zielsetzung ist die wissenschaftliche Abklärung und Kontrolle, um ursächliches Infektionsreservoir und Übertragungswege zu ermitteln. Denn nur ein transparenter Prozess führt zu einem plausiblen Ergebnis, das als Basis der Risikokommunikation in der Klinik genutzt werden kann.

Und Ihre Prognose für die nächsten Jahre?

Prof. Dr. Martin Exner: Gelingt es, die Kultur der pro-aktiven Hygiene jetzt entschlossen wieder in Forschung, Lehre und medizinischer Versorgung sowie in Führungsstrukturen unseres Gesundheitswesens im Interesse des Patienten- und Mitarbeiterschutzes fest und nachhaltig zu verankern, brauchen wir den Optimismus trotz fortschreitendem Druck durch Antibiotikaresistenzen nicht zu verlieren. Dies muss aber dringend umgesetzt werden, da es mittlerweile nicht 5 vor, sondern bereits 5 nach 12 ist.

 

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