Hygiene

Placebo-Effekt und Empathie in der Schmerztherapie

13.11.2012 -

Der Placebo-Effekte wurde lange Zeit in der Medizin eher als störendes Phänomen betrachtet. Nun eröffnen neue Erkenntnisse die Möglichkeit, Schmerzen erfolgreicher zu bekämpfen, Nebenwirkungen zu verringern und die positiven Effekte von Arzneien zu fördern.
Beipackzettel machen Patienten krank

Das heißt: Hat z. B. das erste Schmerzmedikament eine schlechte Wirkung gezeigt, wird auch die Wirkung des nächsten nicht zufriedenstellend sein. „Angesichts dieser Resultate erscheint etwa das Stufenschema der WHO zur Schmerzbehandlung mit der sukzessiven Anwendung immer stärkerer Arzneien als fragwürdige Strategie", gab die Wissenschaftlerin auf dem 85. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Hamburg zu bedenken. Ulrike Bingel arbeitet als Oberärztin an der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf.

Dass eine Krankheit offenbar gelindert werden kann, obwohl in der verabreichten Pille kein spezifischer Wirkstoff enthalten ist, empfanden Wissenschaftler und Ärzte bisher meist als störend. Bis heute versucht man in Studien zur Wirkung von Medikamenten und anderen Therapien, den Placebo-Effekt möglichst klein zu halten und zu kontrollieren, und man setzt Placebo-Medikamente bewusst in Vergleichsgruppen ein, um die echte Medikamentenwirkung beurteilen zu können. Umgekehrt werden Placebo-Effekte im klinischen Alltag aber nur selten genutzt, obwohl sie ganz wesentlich zum Therapieergebnis beitragen. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass Placebo-Präparate eingesetzt werden, aber dass die Mechanismen der Placebo-Wirkung ausgenutzt werden: So ist beispielsweise belegt, dass die mit der Behandlung verbundene Erwartungshaltung einen großen Einfluss auf den Gesamterfolg einer Therapie hat.

Vernachlässigte Möglichkeiten

„Intensive Forschungen in den vergangenen 30 Jahren haben Placeboeffekte und ihr negatives Gegenstück - Nocebo-Effekte - als komplexe psychoneurobiologische Phänomene entschlüsselt und viele der beteiligten Strukturen identifiziert", so Dr. Bingel. „Jetzt ist es an der Zeit, dieses Wissen gezielt umzusetzen, um sowohl die Patientenbehandlung als auch die Aussagekraft klinischer Studien zu optimieren". Bereits im vergangenen Jahr hatte Dr. Bingel eine viel beachtete Studie veröffentlicht, in der die Neurologin zeigen konnte, wie die Erwartung an die Therapie die Wirkung eines Schmerzmedikamentes (Remifentanil) beeinflussen kann. Nun hat sie mit ihrem Team untersucht, ob solche Effekte auch beim Wechsel von Medikamenten auftreten. „Sehr häufig stehen Ärzte vor dieser Situation, dass eine Arznei nicht die gewünschte schmerzlindernde Wirkung zeigt. Man steigt dann um und probiert einen anderen Wirkstoff", erläutert Dr. Bingel. Dabei wird jedoch die Erfahrung, die der Patient mit dem ersten Medikament gemacht hat, mitgenommen, und mindestens teilweise auf die Folgearznei übertragen.

Dies zeigten die Forscher, indem sie einen Teil der gesunden Freiwilligen im Versuch schlechte Erfahrungen mit einer vermeintlichen Schmerzsalbe machen ließen: Die Probanden bekamen an verschiedenen Stellen der Haut zwar die gleiche Salbe, wussten aber nicht, dass die Forscher mittels Hitze unterschiedlich starke Schmerzreize erzeugten. Tags darauf gab es dann statt der Salbe ein Schmerzpflaster, und der Schmerzreiz wurde um 30% verringert. Wer nun zuvor schlechte Erfahrungen mit der Salbe gemacht hatte, vermochte auch mit dem Pflaster weniger Schmerzlinderung festzustellen. Der Unterschied zwischen den beiden Versuchsgruppen machte 15 Punkten auf der 100 Punkte umfassenden visuellen Analog-Skala aus. „Würde man in einer Studie zwei Schmerzmittel miteinander vergleichen, wären 15 Punkte ein beträchtlicher Unterschied", erklärt Dr. Bingel.

Nicht mit dem schwächsten Schmerzmittel beginnen

Dieser „Mitnahmeeffekt" aber dürfte sich in der Praxis meist schädlich auswirken, befürchtet Dr. Bingel. Üblicherweise wird nämlich mit den schwächsten Arzneien begonnen, und erst nach deren Versagen sollen Ärzte die jeweils nächststärkere Medikamentenklasse erproben, so empfiehlt es z.B. die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit ihrem Stufenschema zur Schmerzbehandlung, das auch in Deutschland beachtet wird.

„Da offenbar Lernvorgänge auch bei pharmakologischen Behandlungen eine Rolle spielen, ist es wichtig, ein Therapieversagen zu vermeiden", sagt Dr. Bingel und verweist darauf, dass Patienten zu Hause und auch in der Klinik oft wochenlang unter wirkungslosen Arzneien leiden, bevor eine Umstellung erfolgt, und dass dann die schlechte Erfahrung die Erfolgschancen für das nächste Medikament schmälert.

Nocebo-Effekt durch Beipackzettel

Negative Erwartungen wecken auch die Beipackzettel, die aus juristischen Gründen allen verschreibungspflichtigen Arzneien hinzugefügt werden. „Sie sind aus Sicht der Nocebo-Forschung eine Katastrophe und machen flächendeckend Patienten krank, indem sie gerade jene Nebenwirkungen vermehrt hervorrufen, die dort aufgelistet sind", kritisiert Bingel. Umgekehrt würde eine ausführliche Aufklärung über den zu erwartenden Nutzen einer Therapie, idealerweise durch den behandelnden Arzt, deren Wirksamkeit erhöhen.

„Der Schlüssel ist eine wertschätzende und einfühlsame Arzt-Patienten-Beziehung sowie eine verständliche Information über Erkrankung und Therapie, die die positiven Aspekte betont, ohne unrealistische Ziele zu setzen", sagt die Neurologin. „Das ärztliche Gespräch bestimmt maßgeblich die Wirksamkeit von Therapien und muss deshalb auch entsprechend honoriert werden."

 

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