Welche Antibiotika helfen noch?

25.08.2020 -

Unbestritten gehören die zunehmenden Resistenzen gegenüber Antibiotika zu den größten gesundheitlichen Bedrohungen unserer Zeit.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass jährlich fast 700.000 Menschen weltweit infolge einer Infektion sterben, die mit Antibiotika nicht mehr behandelbar ist, 230.000 davon an Tuberkulose durch multiresistente Keime. Grundsätzlich sind Antibiotikaresistenzen natürliche Phänomene. Fehlgebrauch von Antibiotika und ihr übermäßiger Einsatz in der Human- und Veterinärmedizin begünstigen jedoch das Überleben resistenter Bakterien und beschleunigen so diesen Prozess - und das weltweit. In der Folge steigen Behandlungsdauer, Morbidität und Mortalität. Zudem besteht die Gefahr, dass Antibiotika als Grundpfeiler der modernen Medizin, die komplizierte Operationen und Transplantationen erst ermöglichen, versagen.

Sofortmaßnahmen sind gefordert, um eine möglicherweise katastrophale Krise durch antibiotika-resistente Erreger abzuwenden. Werde nichts unternommen, könnten Erkrankungen durch resistente Erreger in Zukunft (hochgerechnet auf das Jahr 2050) zehn Millionen Todesfälle jährlich verursachen und zudem fatale ökonomische Schäden. Nach Angaben der WHO stellen insbesondere gramnegative Bakterien wie Acinetobacter baumannii, Pseudomonas aeruginosa und Enterobacteriaceae, die gegen die Antibiotika Carbapenem und Cephalosporin resistent sind, eine wachsende Gefahr für die menschliche Gesundheit dar. Diese Erreger können schwere und oft lebensbedrohliche Infektionen verursachen. Die letzte neue Klasse von Antibiotika, die gegen diese Mikroorganismen auf den Markt kam, waren in den 1960er Jahren die Fluorchinolone. Neue Antibiotika mit neuen Wirkmechanismen gegen gramnegative Bakterien sind dringend erforderlich, da insbesondere die Resistenz gegen das Reserveantibiotikum Colistin weltweit zunimmt.

Risiken sind bekannt

Antibiotika wurden nicht nur als Medikamente, sondern auch in der Tiermast als Mastmittel eingesetzt. Dies erhöhte was vor allem für die in der Lebensmittelverarbeitung Beschäftigten das Risiko, mit resistenten Keimen in Kontakt zu kommen. Aufgrund ihrer geringen Nebenwirkungen wurden diese Medikamente in der Humanmedizin auch bei Erkrankungen eingesetzt, bei denen eine Verbesserung des Krankheitsverlaufs durch den Antibiotikaeinsatz kaum zu erwarten war. Außerdem nehmen viele Patienten die Medikamente nicht so konsequent ein, dass ein therapeutischer Effekt zu erwarten ist. Übrig gebliebene Medikamente werden oft im Abfluss entsorgt. Dies führt dazu, dass Antibiotika ins Grundwasser gelangen. Inwieweit dieser Eintrag in die Umwelt für die menschliche Gesundheit ein Risiko darstellt, lässt sich bisher nicht fundiert belegen. Allerdings steht fest, dass Antibiotika die mikroökologische Umwelt beeinträchtigen können.

Während in Deutschland der sachgemäße Umgang mit Antibiotika stark diskutiert und reglementiert wird, existiert in vielen Ländern kein Apothekenwesen, Antibiotika sind frei verkäuflich, ärztliche Leitlinien existieren nicht oder werden kaum befolgt. Diese auffälligen Reglementierungen sind ein Grund für die unterschiedliche Verbreitung von Antibiotikaresistenzen. Für die Einstufung der Ergebnisse von Resistenzbewertungen gibt es international anerkannte Vorgaben. In Europa gilt das European Committee on Antimicrobial Susceptibility Testing (EUCAST) als autoritative Organisation. EUCAST ist eine ständige Kommission, die sich mit den Messwerten bei Resistenzbestimmungen auseinandersetzt. Seit 2019 bestehen diese neuen Definitionen für die Ergebnisse von Resistenzbestimmungen:

S - susceptible (anfällig, suszeptible), Standard-Dosierungsschema: Ein Mikroorganismus wird als „suszeptibel, Standard-Dosierungsschema“ eingestuft, wenn die Wahrscheinlichkeit eines therapeutischen Erfolgs unter Verwendung eines Standard-Dosierungsschemas des Wirkstoffs hoch ist; I – increased (gestiegene, erhöhte Exposition): Ein Mikroorganismus wird als „anfällige, erhöhte Exposition“ eingestuft, wenn die Wahrscheinlichkeit eines therapeutischen Erfolgs aufgrund einer Steigerung der Exposition gegenüber dem Wirkstoff durch Anpassung des Dosierungsschemas oder seiner Konzentration an der Infektionsstelle erhöht wird; R - resistent: Ein Mikroorganismus wird als „resistent“ eingestuft, wenn die Wahrscheinlichkeit eines therapeutischen Versagens hoch ist, selbst wenn die Exposition erhöht ist. Auch Antibiotika-Toleranz kann die Entwicklung von Resistenzen fördern, selbst unter Kombinationstherapien, die weit verbreitet sind, um solche Resistenzen zu verhindern.

Dies zeigt eine neue Studie in „Science“. Die Forscher untersuchten MRSA-Isolate aus dem Blut von Patienten, die wegen persistierender MRSA im Blut eine Kombinationstherapie erhalten hatten. Dabei stellten sie eine rasche Toleranz-Entwicklung in Bakterien-Populationen fest, nach der trotz einer Antibiotika-Kombinationstherapie Resistenzen auftraten. Laut den Autoren gingen die Vorteile von Wirkstoffkombinationen verloren, sobald sich Toleranz für nur ein Antibiotikum entwickelt hatte. Experimente mit verschiedenen Klassen von Antibiotika (einschließlich Vancomycin, Rifampicin und Daptomycin) ergaben ähnliche Ergebnisse. Antibiotika beeinflussen nicht die Geschwindigkeit, mit der Krankheitserreger Resistenzgene austauschen. Einer neuen Studie zufolge kann mindestens ein Viertel der klinisch relevanten antibiotika-resistenten Krankheitserreger seine Resistenzgene direkt an andere Bakterien weitergeben. Die Forscher erhielten 219 klinische Isolate von Escherichia coli, die alle beta-laktamase-resistent waren. Durch Messung der Plasmidkonjugationsrate - sowohl mit als auch ohne Beta-Lactamase-Antibiotika - zeigten sie, dass diese Antibiotika, mit Ausnahme eines Ausreißers, die Rate des Resistenz-Austausches nicht erhöhen. Die Forscher stellten zudem fest, dass mehr als 25% der untersuchten Erreger-Stämme in der Lage sind, ihre Resistenz mit einer für den Nachweis ausreichenden Geschwindigkeit zu teilen.

Neue Antibiotika in der Pipeline?

Die Entwicklung neuer Antibiotika sei laut WHO zu langsam. Rückläufige Investitionen und mangelnde Innovation bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe untergraben die Bemühungen zur Bekämpfung multiresistenter Infektionen, heißt es in einer aktuellen Meldung. Zwei neuen Berichten zufolge befinden sich derzeit 60 neue Wirkstoffe in der Entwicklung - darunter 50 Antibiotika und 10 Biologika. Von den 50 in der Pipeline befindlichen Antibiotika zielen 32 auf die von der WHO als vorrangig eingestuften Erreger ab, doch die meisten haben im Vergleich zu den vorhandenen Antibiotika nur einen begrenzten Nutzen. Zwei davon sind gegen die multiresistenten gramnegativen Bakterien wirksam, die sich schnell ausbreiten und dringend Lösungen erfordern. Die Berichte weisen laut WHO auf eine besorgniserregende Lücke in der Aktivität gegen das hochresistente Carbapenem-spaltende Enzym NDM-1 (New Delhi Metallo-beta-Lactamase 1) hin. NDM-1 macht Bakterien gegen eine breite Palette von Antibiotika resistent, darunter auch gegen solche aus der Carbapenem-Familie, die heute die letzte Therapiemöglichkeit gegen antibiotikaresistente bakterielle Infektionen darstellen.

Lösungen dringend benötigt

„Es ist wichtig, die öffentlichen und privaten Investitionen auf die Entwicklung von Behandlungen zu konzentrieren, die gegen die hochresistenten Bakterien wirksam sind, denn uns gehen die Möglichkeiten aus“, sagt Hanan Balkhy, stellvertretender Generaldirektor der WHO für antimikrobielle Resistenz. „Und wir müssen sicherstellen, dass diese neuen Behandlungen, sobald wir sie haben, allen zur Verfügung stehen, die sie brauchen.“ Auch Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO schlägt Alarm: „Noch nie war die Gefahr einer antimikrobiellen Resistenz so unmittelbar und der Bedarf an Lösungen so dringend wie heute. Es gibt zahlreiche Initiativen zur Verringerung der Resistenz, aber wir brauchen auch Länder und die Pharmaindustrie, die ihre Anstrengungen intensivieren und mit nachhaltigen Mitteln und innovativen neuen Medikamenten einen Beitrag leisten müssen“.

Nach Aussage von Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus sind Antibiotika-Resistenzen eins der dringendsten Gesundheitsrisiken unserer Zeit: „Alle Länder müssen ein Gleichgewicht herstellen: Einerseits ist der Zugang zu lebensrettenden Antibiotika sicherzustellen, andererseits muss die Resistenzentwicklung gebremst werden, indem mit Antibiotika gegen die am schwersten zu bekämpfenden Infektionen sparsam umgegangen wird.“ Bislang werde die Forschung und Entwicklung für Antibiotika vor allem von kleinen oder mittleren Unternehmen vorangetrieben, während große Pharmaunternehmen weiterhin aus dem Feld ausschieden.

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