IT & Kommunikation

Abwarten ist bei der Transformation eine teure Option

07.03.2024 - SAP sorgt mit Abkündigungen bezüglich des weit verbreiteten KIS-Systems IS-H für Unruhe in der Healthcare-Branche. 

Über die Folgen, und was Entscheider  in den Kliniken jetzt beachten sollen, sprach M&K mit Michael Pfeil, Arbeitskreissprecher Healthcare Deutschsprachige SAP Anwendergruppe (DSAG), Walldorf.


M&K: Die Entwicklungen rund um SAP sind für viele deutsche Krankenhäuser nicht erfreulich. Wie sehen Sie dies?

Michael Pfeil: Die Entscheidung von SAP, wichtige Anwendungen nicht mehr weiterzuentwickeln, hat die Branche tief verunsichert. SAP hatte im Herbst 2022 angekündigt, dass die bisherigen Funktionalitäten in IS-H für die Patientenverwaltung und -abrechnung künftig über die KIS anderer Software-Hersteller abgebildet werden müssen. Fest steht auch, dass Oracle Cerner seinen Support für den IS-H Reklamations-Monitor (RKT) und i.s.h.med einstellt. Oracle Cerner wird den Support für das KIS einstellen. Mit i.s.h.med werden die medizinischen Daten der Patienten erfasst – von der Anamnese über die Therapie bis zur Nachbehandlung, Das RKT unterstützt die Prozesse zur Bearbeitung, Dokumentation und Auswertung der Daten im Zusammenhang mit Kassenreklamationen, Prüfungen des Medizinischen Dienstes und sonstigen Reklamationen zu einem Behandlungsfall. Es ist in vielen Kliniken unabdingbar – was nun bedeutet, dass entsprechende IT-Projekte gestartet werden müssen. Dabei sind viele Krankenhäuser durch die Umsetzung des Krankenhauszukunftsgesetzes sowieso bereits stark belastet. Manche, wie die Charité, reagieren auf die Entwicklung, indem sie ein neues Krankenhausinformationssystem einführen. Das ist aufwändig, teuer und bindet viele Ressourcen. Der Zeitstrahl, den SAP vorgegeben hat, ist extrem eng. Maximal bis Ende 2030 könnte man die Systeme mit der Mainstream-Wartung wie bislang nutzen, wobei ab Ende 2027 die Wartungsgebühren steigen. Wir fordern von SAP mehr Transparenz. Es wäre wünschenswert gewesen, man hätte sich zuvor mit den Partnern abgestimmt. Die Kunden hätten sich dann andere Lösungen suchen können.

Wie reagieren die anderen Hersteller?

Pfeil: Umfragen zeigen, dass die Hersteller nicht auf die Bedürfnisse der Kunden vorbereitet sind. Die Einführung beispielsweise von Abrechnungstools passt nicht unbedingt in die Agenda einer Anbieterfirma. Wir gehen davon aus, dass man hier erst im Jahr 2025 oder 2026 belastbare Systeme sehen wird. Das ist Thema nicht nur in Österreich, Schweiz und Deutschland, sondern beispielsweise auch in Spanien. Die SAP-Lösungen werden weltweit eingesetzt – und sind fest etabliert. Auf dem Markt gibt es derzeit hauptsächlich visionäre Vorstellungen, wie Lösungen aussehen könnten. So baut GITG eine Lösung für SAP S/4HANA nach (GS-H). Es gibt dafür aber lediglich ein Pilotprojekt in München. Allein in Deutschland müssten rund 250 Häuser transformiert werden. Selbst wenn sich alle Hersteller mit allen Ressourcen darauf konzentrieren würden, könnten wir nur maximal ein Drittel der Häuser in der verbliebenen Zeit umstellen – wenn alles gut geht. Dabei sprechen wir über erlösrelevante Themen. Wir haben uns bei der DSAG im Arbeitskreis neu aufgestellt, um mit allen Herstellern zu sprechen und Lösungen zu entwickeln. Lastenhefte und Leistungsverzeichnisse können als Blaupause für Ausschreibungen dienen. Die DSAG hat eine Verlängerung der Wartung bis 2035 gefordert. Das wäre ein gutes Signal, ist aber nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Das Vorgehen von Oracle Cerner ist ein weiterer Schlag für die Healthcare-Branche. Die Häuser müssen sich ganz klar mit der Transformation beschäftigen. Dafür benötigen sie Zeit, Geld und Fachleute.

Ist die Politik gefordert?

Pfeil: Die Politik wäre gefordert, aber selbst in der Hauptstadt wird die Entscheidung von SAP akzeptiert und der Charité ein neue KIS finanziert. Dadurch signalisiert man bundesweit: Wenn ihr ein neues KIS haben wollt, dann müsst ihr die notwendigen Ressourcen selbst zusammenbekommen. Damit setzt die Politik in Berlin ein fragwürdiges, punktuelles Zeichen. Notwendig wäre eine flächendeckende Lösung, bei der sich Fachleute mit SAP zusammensetzen und einen realistischen Fahrplan erarbeiten, bis Partner eine brauchbare Lösung erarbeitet haben. Grundsätzlich hätte die Politik entscheiden können, dass man den Weg zentralisierter Rechenzentren geht, die die notwendigen Lösungen implementieren und den Häusern zur Verfügung stellen. Das ist unterblieben. Wir müssten auch die Abrechnungsparameter vereinfachen. Das deutsche Fallpauschalensystem ist sehr komplex.

Sollten sich Krankenhausleitungen eine Trennung von SAP überlegen?

Pfeil: SAP hat bereits des Öfteren einzelne Lösungen in einzelnen Sparten abgekündigt. Ein administratives System ist aber für die meisten Einrichtungen obligatorisch. Da ist das Enterprise Resource Planning (ERP) und die Eingangsrechnungsverarbeitung (ERV) eigentlich die beste Wahl. Kleinere Einrichtungen könnten sich allerdings tatsächlich überlegen, andere Lösungen zu suchen. Wir investieren jedoch immer in eine ungewisse Zukunft. Man muss abwägen, für wen SAP S/4HANA sinnvoll ist. Das wird für die meisten der Fall sein. Zudem muss geklärt werden, wie sich andere Produkte ans Core System anbinden lassen. Da reden wir über zertifizierte Schnittstellen, über FHIR-Services, die eigentlich bereits vorhanden sein müssten. Sollten Sie entscheiden, bei S/4HANA zu bleiben, so müssen Sie eine Contract-Conversion machen, damit Sie überhaupt in der Lage sind, diese Technologien zu nutzen. Viele warten ab. Aber Abwarten ist teuer. Alle, die nicht bereits vor zwei oder drei Jahren begonnen haben, ihre Verträge zu transformieren, sind in einer undankbaren Situation. Hinzu kommt, dass man für neue Technologien wie Cloud Services oder Business Technology Plattformen viel Know-how benötigt – oder Dienstleister sehr teuer bezahlen muss. Wir als DSAG versuchen, den Mitgliedern Hilfestellung zu geben und werden im zweiten Quartal eine zweitägige Veranstaltung organisieren, bei der wir unsere Mitglieder mit Herstellern zusammenbringen.

Die gesetzlichen Forderungen an die IT wachsen. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist geradezu ein Buzzword …
Pfeil: Wir müssen viele gesetzlichen Themen in den Bestandssystem IS-H und i.s.h.med einpflegen, bekommen aber den benötigten Support von SAP nicht mehr, weil es den entsprechenden Bereich nicht mehr gibt. Der Kunde ist somit darauf angewiesen, entsprechende Expertise einzuholen. Auch die Gematik und Telematik-Bereiche fordern Engagement. Es ist eine unglaubliche Wucht an Themen. 

Was sollten Krankenhausleitungen jetzt beachten?

Pfeil: Entscheider und zuständige Personen sollten dringend eine IT-Strategie für die Transformation der kaufmännischen und medizinischen Systeme entwickeln. Sie sollten prüfen, was die priorisierten Themen sind und dann die Grundlage für die Transformation schaffen. Dazu gehört es, die Vertragsthematiken und Abhängigkeiten von solchen Projekten zu klären. Dann sollte man die Transformation eines ERP-Projektes anfangen. Das geht unabhängig von S/4HANA. Auch sollte geprüft werden, welche Systeme man für die Patientenaufnahme und -abrechnung nutzt und welche Varianten es dort aktuell gibt. Auch eine Mitarbeit der richtigen Personen in DSAG-Arbeitsgruppen kann hilfreich sein.

Gibt es eine positive Botschaft?

Pfeil: Am Ende der Transformation steht man besser da als zuvor, wenn man die richtigen Schritte macht. Sie kann einen Mehrwert bringen. Aber die Krankenhäuser müssen schnell beginnen zu handeln. Wer das beherzigt, wird ein gutes Stück weiterkommen. Die einzelnen relevanten Entscheidergruppen, ob es CEO-Gruppen oder die DSAG sind, engagieren sich stark. Entscheider sind nicht allein. Es gibt Ansprechpartner und Anlaufstellen. Wäre es nur negativ, würde ich diese ganze Arbeit nicht machen. Fest steht: Wir können gemeinsam Positives erreichen.

Autor: Lutz Retzlaff, Neuss

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