Auszeichnungen

Frederick W. Alt und David G. Schatz mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis geehrt

14.03.2023 - Für die Entdeckung von Molekülen und Mechanismen, die unser Immunsystem zu der erstaunlichen Leistung befähigen, Milliarden verschiedener Antigene von Bakterien, Viren und anderen Eindringlingen schon beim ersten Kontakt zu erkennen, werden die Immunologen Frederick W. Alt und David G. Schatz heute in der Frankfurter Paulskirche mit dem mit 120.000 Euro dotierten Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2023 ausgezeichnet.

Den Nachwuchspreis erhält der Biochemiker und Arzt Leif S. Ludwig für ein von ihm erfundenes Verfahren zur Analyse der Abstammung und Entwicklung menschlicher Blutzellen, zu denen auch die Zellen des Immunsystems gehören.

Kiefertragende Wirbeltiere wie wir Menschen verfügen anders als primitivere Organismen nicht nur über ein angeborenes, sondern auch über ein adaptives Immunsystem, das in der Lage ist, sich auf alle möglichen Angreifer einzustellen. Denn irgendwann im Lauf der Evolution ist es einem unserer Vorfahren offenbar gelungen, einen DNA-Parasiten zu zähmen, der sich in sein Genom eingenistet hatte. So wurde aus dem Parasiten das Gen für ein Enzym, das zur Schaltzentrale immunologischer Diversität avancierte. Dieses Enzym RAG1/2 schneidet aus der DNA bestimmter Chromosomen in heranreifenden Immunzellen (Lymphozyten) Bruchstücke aus und rekombiniert sie in einem lotterieähnlichen Verfahren zu funktionsfähigen Genen. Diese somatische Rekombination vervielfacht die Variabilität von Antikörpern und T-Zell-Rezeptoren. Sie ist eine Voraussetzung dafür, dass unser Körper rund zehn Milliarden verschiedene Antikörper bilden kann, obwohl er nur rund 20.000 Proteinbaupläne in Form von Genen besitzt. David G. Schatz hat das Enzym RAG1/2 entdeckt, Frederick W. Alt die Enzyme, die die von RAG1/2 zerschnittene DNA reparieren. „Alt und Schatz haben in jahrzehntelanger Forschung Licht in die zuvor verborgene Entstehung unserer adaptiven Immunität gebracht und damit unser Wissen über die Entwicklung des Immunsystems auf eine neue Stufe gehoben“, würdigte Prof. Dr. Thomas Boehm, der Vorsitzende des Stiftungsrates der Paul-Ehrlich-Stiftung, die Leistung der beiden Hauptpreisträger.

Das Enzym RAG1/2 ist der Motor der somatischen Rekombination. Ohne ihn können keine funktionstüchtigen B- und T-Zellen, kann keine wirksame adaptive Immunabwehr entstehen. Viele Fälle schwerer Immundefizienz werden von Mutationen der RAG-Gene verursacht und manche Lymphome und Leukämien stehen mit Fehlfunktionen der von diesen Genen codierten Enzyme in Zusammenhang. Umso wichtiger ist es, neben dem molekularem Mechanismus auch deren evolutionären Ursprung und deren Verhalten im lebendigen Zellkern zu kennen.

Nach den Erkenntnissen von Schatz stammt RAG1/2 von einem Gen ab, das vor Jahrmillionen als eine Art eigennütziger Schmarotzer nach Belieben durch das Genom unserer sehr frühen Vorfahren zu springen begann. In strukturbiologischen Studien hat Schatz diese Sprünge (Transpositionen) über mehrere Stufen der Evolution nachvollzogen. Er hat gezeigt, mit welchen biochemischen Tricks es uns Wirbeltieren dabei gelang, das springende Gen RAG1/2 an einer bestimmten Stelle zu fixieren und für das Immunsystem nutzbar zu machen.

Während sie durch den Zellkern unreifer Lymphozyten wandern, führen RAG-Enzyme Chromatinknäuel, in denen die DNA platzsparend aufgewickelt ist, immer wieder vorübergehend zu Rekombinationszentren zusammen. Dort nehmen sie ein Chromatin-Scanning vor, das Alt erstmals beschrieben hat. Sie ziehen einen Chromatinfaden, der mehr als eine Million DNA-Buchstaben lang sein kann, wie eine Schlaufe durch das Rekombinationszentrum. So liegen weit entfernte Genabschnitte plötzlich einander gegenüber und können sicher miteinander verknüpft werden.

Die B- und die T-Lymphozyten, auf denen die erworbene Immunität gründet, sind Bestandteile unseres Blutes, in dem beim gesunden Menschen täglich mindestens 500 Milliarden alte Zellen durch neue ersetzt werden. Sie entstehen aus hämatopoetischen Stammzellen im Knochenmark, aus denen sie wie alle anderen Blutkörperchen auf divergierenden Entwicklungslinien über mehrere Stufen ausreifen. Die daraus resultierenden Stammbäume und Verwandtschaftsbeziehungen zu bestimmen, ist medizinisch von größtem Interesse, beispielsweise um festzustellen, an welcher Abzweigung eine Leukämiezelle entsteht. Der diesjährige Nachwuchspreisträger Leif S. Ludwig hat ein Verfahren erfunden, dass der Humanmedizin erstmals die Möglichkeit eröffnet, dies relativ preiswert, schnell und zuverlässig zu tun. Ludwigs bereits an einzelnen Patienten erprobte Methode verknüpft die Analyse von Mutationen in Mitochondrien mit neuesten Technologien zur Gensequenzierung einzelner Zellen.

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