Labor & Diagnostik

Unbekannte Wirkungen von Citraconsäure

08.07.2022 - Citraconsäure schützt Zellen durch antioxidative und entzündungshemmende Eigenschaften. Außerdem hemmt sie die Freisetzung von Grippeviren aus menschlichen Zellen.

Das körpereigene Molekül Itaconsäure wirkt antiviral und entzündungshemmend, wie Forschende vom TWINCORE kürzlich gezeigt haben. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig und dem Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland haben sie nun die eng verwandte Substanz Citraconsäure untersucht. Die Ergebnisse haben sie in Nature Metabolism veröffentlicht.

„Itaconsäure hat zwei Isomere, also natürliche Verwandte, die sich nur geringfügig in der chemischen Struktur unterscheiden, Mesacon- und Citraconsäure“, sagt PD Dr. Frank Peßler, Leiter der Arbeitsgruppe „Biomarker für Infektionskrankeiten“ am Institut für Experimentelle Infektionsforschung des TWINCORE, Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung in Hannover. Alle drei Stoffe kommen natürlich in höheren Organismen vor und Peßlers Forschungsgruppe hatte 2021 erstmals alle drei in Lymphknoten und Milz, wichtigen Organen des Immunsystems, nachgewiesen. „Daraufhin haben wir diese Isomere weiter charakterisiert. Dabei waren die Ergebnisse mit Citraconsäure für die Entwicklung von Medikamenten am vielversprechendsten.“

Mehrere positive Effekte

Die Forschenden konnten zeigen, dass Citraconsäure gleich mehrere positive Effekte für die Immunabwehr hat. „Wir haben entdeckt, dass Citraconsäure einen wichtigen Signalweg im Immunsystem aktiviert“, sagt Peßler. „Der NRF2-Pathway steuert antioxidative und entzündungshemmende Prozesse, welche die Zellen vor schädlichen Einflüssen schützen können.“ Die Wirkung der Citraconsäure ist hier um ein vielfaches stärker als die der Itacon- und Mesaconsäure.

Wenn die Forschenden menschliche Zellen mit Grippeviren infizierten und gleichzeitig mit Citraconäure behandelten, beobachteten sie eine starke Hemmung von Botenstoffen, die Entzündungen auslösen. „Sie hemmt die Signalkaskaden der Typ-1-Interferone und reduziert dadurch proinflammatorische Zytokine und Chemokine“, sagt Pessler. „Das sind Signalmoleküle, die Vorgänge im Immunsystem einleiten und verstärken“. In denselben Versuchen testeten die Forschenden auch die Wirkung der drei Isomere auf die Vermehrung von Grippeviren. Dabei fanden sie, dass insbesondere die Citraconsäure die Freisetzung von Viruspartikeln aus den infizierten Zellen fast vollkommen unterbindet. Auch in diesem Bereich war die Citraconsäure stärker als Itacon- und Mesaconsäure. Durch diese gleichzeitige Hemmung von Virusvermehrung, Botenstoffen und zellschädlichen oxidierenden Molekülen erhofft sich Peßler, dass Medikamente auf der Basis von Citraconsäure Patienten mit schweren Virusinfektionen wie Influenza, aber auch COVID-19, helfen werden. Solche Hemmstoffe könnten klinisch wichtige Anwendungen finden.

Auch dass Itaconsäure und Citraconsäure direkt interagieren, konnten Peßler und sein
Team zeigen. Hier spielt das mitochondriale Enzym ACOD1 eine zentrale Rolle. ACOD1 vermittelt die Synthese von Itaconsäure in entzündeten Geweben. „Citraconsäure verhindert die Produktion von Itaconsäure, indem sie direkt an das aktive Zentrum des Enzyms bindet. Derartige Hemmstoffe waren bislang nicht bekannt“, sagt Dr. Fangfang Chen. Die Biotechnologin hat im Rahmen ihrer Doktorarbeit den Großteil der experimentelle Arbeiten durchgeführt „Zuviel Itaconsäure kann das Immunsystem schwächen. Die Gabe von Citraconsäure könnte daher zu einer Leistungssteigerung des Immunsystems führen. Dies könnte bei einer fortgeschrittenen Sepsis, also Blutvergiftung, helfen, oder bei Menschen, deren Immunsystem schlecht auf Impfungen anspricht.“

„Andere Forschungsgruppen haben gezeigt, dass Itaconsäure das Wachstum von bestimmten Tumoren fördern kann“, sagt Pessler. Auch hier könnte Citraconsäure die Bildung von Itaconsäure verhindern. „ACOD1-Hemmstoffe auf der Basis von Citraconsäure könnten deshalb eine neue Klasse von Krebsmedikamenten bilden.“

„Für medizinische Anwendungen von Citraconsäure haben wir bereits ein Patent beantragt“, sagt Peßler. „Es steht uns allerdings noch viel Arbeit bevor, bis wir wissen ob und wie Medikamente auf Basis der Citraconsäure am besten eingesetzt werden können.“

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