Aus den Kliniken

100.000 telemedizinische Beratungen: Größtes Schlaganfallnetzwerk Europas feiert Jubiläum

26.06.2023 - Pionierarbeit in der München Klinik Harlaching: 20 Jahre Telemedizin gegen den Schlaganfall in Deutschland

Erst seit knapp 30 Jahren ist der Schlaganfall (rund 270.000 Betroffene jedes Jahr und dritthäufigste Todesursache in Deutschland) überhaupt medizinisch behandelbar. Vor diesem Hintergrund kaum zu glauben, dass das telemedizinische Schlaganfallnetzwerk TEMPiS der München Klinik (MüK) Harlaching in diesem Jahr bereits sein 20-jähriges Bestehen feiert. In der Schlaganfallversorgung hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr viel getan. Immer vorne dran: die München Klinik und TEMPiS – mit der bundesweit ersten Stroke Unit, dem bundesweit ersten noch bestehenden, und bis heute europaweit größten, telemedizinischen Schlaganfallnetzwerk TEMPiS und dem weltweit einzigartigen Heli-Projekt „Flying Intervention Team“ (FIT).

Am vergangenen Freitag (23.6.) feierte das telemedizinische Schlaganfallnetzwerk TEMPiS sein 20-jähriges Bestehen im Hangar der ADAC Luftrettungsstation auf dem Gelände der MüK Harlaching. Seit 2018 teilt sich der dort stationierte ADAC Rettungshubschrauber „Christoph 1“ sein „Zuhause“ mit dem FIT-Heli der fliegenden Ärzte: ein an TEMPiS angeschlossenes, weltweit einzigartiges Projekt, das ebenfalls bereits sein 5-jähriges Bestehen feiert. Gesundheitsminister Klaus Holetschek und Bürgermeisterin Verena Dietl sprachen zu diesem Anlass Grußworte vor den rund 100 geladenen Gästen aus Politik, Krankenkassen, Projektpartnern und Partnerkliniken.

MüK Harlaching – erste Stroke Unit in Deutschland

Im Jahr 1990 eröffnete in der München Klinik Harlaching die bundesweit erste Stroke Unit. Der damalige Quantensprung: Schlaganfälle wurden dort erstmals im spezialisierten Team aus erfahrenen Intensivmediziner*innen, Neurolog*innen, Radiolog*innen, Pflege und Therapeut*innen gemeinsam diagnostiziert und behandelt. So konnte die Behandlungszeit maßgeblich auf im Durchschnitt 30 Minuten reduziert werden – für die Betroffenen ein entscheidender Vorteil, da beim Schlaganfall pro Minute 1,9 Millionen Nervenzellen sterben („Time is brain“). Bereits damals kam auf der Harlachinger Stroke Unit die Thrombolyse zum Einsatz – eine Chemikalie, mit der sich Gerinnsel auflösen lassen und die 1995 als erste offizielle Therapieform gegen den Schlaganfall zugelassen wurde. Allein in Harlaching werden heute jährlich über 1.300 Patient*innen auf der zertifizierten Stroke Unit versorgt. Zusammen mit den Schlaganfallzentrum MüK Bogenhausen versorgt die München Klinik knapp die Hälfte der Schlaganfälle in München.

TEMPiS bringt moderne Schlaganfallversorgung seit 20 Jahren in die Fläche

Da Stroke Units nahezu ausschließlich in Ballungsräumen eingerichtet waren, hatten gerade Schlaganfall-Patient*innen in ländlichen Regionen keinen Zugang zu dieser Expertise. Um eine Brücke in der Versorgung zu bauen und die Errungenschaften der Schlaganfalltherapie auch in die Fläche zu bringen, wurde vor 20 Jahren, im Jahr 2003, an der MüK Harlaching das Schlaganfallnetzwerk TEMPiS (=Telemedizinisches Schlaganfallnetzwerk Süd-Ost-Bayern) ins Leben gerufen. Per Telekonsil (Video-Liveschalte) unterstützen die Expert*innen aus den Schlaganfallzentren ihre Kolleg*innen in den ländlichen Partnerkliniken bereits in der Notaufnahme bei der hochkomplexen Diagnostik und Therapieentscheidung. Mit zunächst 12 beteiligten regionalen Kliniken und den beiden Zentren in Harlaching und Regensburg war es eines der ersten und ist heute das älteste noch bestehende Schlaganfallnetzwerk in Deutschland. Heute sind nach diesem Vorbild telemedizinische Schlaganfallnetzwerke weltweit etabliert, allein in Deutschland gibt es mittlerweile über 20 Netzwerke. Mit heute 25 angeschlossenen Partnerkliniken von Bad Reichenhall bis Schwandorf ist TEMPiS bis heute das größte Netzwerk in Deutschland und Europa. Über 10.000 Menschen werden über TEMPiS jährlich behandelt, bis heute wurden seit Projektbeginn mehr als 100.000 Telekonsile durch die Schlaganfallzentren Harlaching und Regensburg durchgeführt. Das 100.000-te Telekonsil wurde im Frühjahr 2023, und damit im Jubiläumsjahr, durchgeführt. 

TEMPiS entwickelt sich und die Schlaganfallversorgung stetig weiter

Seit 2015 ist, neben der medikamentösen Thrombolyse, mit der mechanischen Thrombektomie eine zweite Therapie gegen den Schlaganfall möglich. Hierbei handelt es sich nicht um ein Medikament, sondern um einen komplexen Kathetereingriff. Dabei wird von speziell ausgebildeten Neuroradiolog*innen von der Leiste ab ein Katheter bis in das Gehirn zur Stelle des Gefäßverschlusses geführt. An der Spitze des Katheters entfaltet die Expert*in dort ein kleines Drahtkörbchen, dieses verhakt sich mit dem Blutgerinnsel und entfernt es aus dem Gefäß. Besonders bei schweren Schlaganfällen ermöglicht der Eingriff gute Heilungschancen, sofern er zeitnah erfolgt. Doch profitierten davon anfangs ausschließlich Patient*innen in den Zentren, in denen die notwendigen Spezialist*innen verfügbar waren. TEMPiS suchte daraufhin nach einer Lösung, die Thrombektomie in die Fläche zu bringen – und schaffte es 2018 mit einem innovativen und weltweit einzigartigen Weg. Das Projekt „Flying Intervention Team“ (FIT), die fliegenden Heli-Ärzte, wurde gemeinsam mit den Projektpartnern HTM Helicopter Travel Munich GmbH und ADAC Luftrettung gGmbH geboren. Die Neuroradiolog*in und ein*e medizinisch-technisch*e Radiologieassistent*in (MTRA) fliegen zu zweit per Heli aus dem Zentrum in die Partnerkliniken im Radius von bis zu 150 Kilometern im Münchner Umland und führen direkt vor Ort den Eingriff durch. Während der Flugzeit kann der Patient in der Partnerklinik bereits auf den Eingriff vorbereitet werden – diese parallelen Abläufe sparen wertvolle Zeit, der Eingriff kann umgehend nach dem Eintreffen des Neuroradiologen durchgeführt werden. Außerdem ermöglicht die neue Methode den Patienten eine ganzheitlich wohnortnahe Behandlung. Bisher sind in den 5 Jahren seit Projektstart bereits mehr als 500 Heli-Einsätze erfolgt sowie der wissenschaftliche Beweis erbracht, dass die Versorgung gegenüber dem Verlegen der Patienten schneller und damit heilungsfördernder ist. Mit dem weiteren Projekt „TeleSchwindel“ unterstützen die neurologischen Expert*innen der MüK Harlaching die TEMPiS-Partnerkliniken seit 2019 mit hochmodernen Videobrillen per Telekonsil auch bei der hochkomplexen Schwindeldiagnostik. Schwindel ist das häufigste medizinische Symptom, das auf einen Schlaganfall und viele weitere Krankheitsbilder hindeuten kann.

Win-win: Ärzt*innen gewinnen Zeit gegen den Schlaganfall, Patient*innen gewinnen Lebensqualität

„Die Telemedizin ist in anderen Fachbereichen noch neu, doch in der Schlaganfallversorgung längst etabliert. Das zeigt, welche Quantensprünge die Schlaganfallforschung allein in den letzten Jahrzehnten gemacht hat. Die München Klinik Harlaching zählt hier zu den Vorreitern in Deutschland und Europa“, sagt Prof. Roman Haberl, Chefarzt der Klinik für Neurologie und neurologische Intensivmedizin der MüK Harlaching. Er ist seit 27 Jahren in Harlaching und hat die wegweisende Harlachinger Schlaganfallversorgung gemeinsam mit TEMPiS-Leiter Dr. Gordian Hubert und dem neurologischen Team maßgeblich vorangebracht. Der Erfolg ist messbar und gibt dem Harlachinger Modell recht: TEMPiS ist mit einer Zeit bis zum Therapiebeginn von 115 Minuten ein extrem schnelles Schlaganfallnetzwerk in Europa. Insgesamt konnte mit TEMPiS in den regionalen Partnerkliniken neben der Lysetherapie auch die Qualität der gesamten Schlaganfalltherapie verbessert werden. Mehr Patient*innen erhalten eine frühe Diagnostik (z.B. Computertomographie), spezifische Therapie und frühe rehabilitative Behandlung. In einem Vergleich zwischen Kliniken mit und ohne telemedizinische Beratung zeigte sich für die Patient*innen innerhalb des Netzwerkes eine Prognoseverbesserung um 37 Prozent für Sterblichkeit, Pflegeheimversorgung und schwere Behinderung. Gleichzeitig konnte im Projekt aufgezeigt werden, dass eine Schlaganfallversorgung in ländlichen Gebieten genauso schnell wie in einer Großstadt sein kann. Dank 24/7 telemedizinischer Unterstützung durch die Spezialist*innen der München Klinik Harlaching ist die Versorgung in der Region genauso schnell wie die Versorgung in Finnland durch die Helsinki University Central Hospital (HUCH), das international für extrem schnelle Zeiten bis zur Lysetherapie bekannt ist.

Wissenschaft bestätigt deutlich verbesserte Versorgung

Ergebnisse des integrierten FIT-Projekts wurden im vergangenen Jahr im weltweit renommierten Fachjournal JAMA veröffentlicht. Hier konnte durch die fliegenden Heli-Ärzte ein Zeitgewinn von 90 Minuten bei der Behandlung von Schlaganfallpatient*innen per Kathetereingriff (Thrombektomie) im Vergleich zur sonst üblichen Verlegung in ein Zentrum wissenschaftlich bestätigt werden. Damit einher geht eine bessere Lebensqualität und weniger Folgeschäden auch bei Patient*innen mit sehr schweren Schlaganfällen. Die Zahlen sind eindeutig und konnten die Krankenkassen von der notwendigen weiteren Finanzierung des Projekts überzeugen, das auch Modellcharakter für andere Teile der Welt haben könnte. FIT wurde im Juni 2022 ausgeweitet, die Flugzeiten wurden verdoppelt – seitdem sind die fliegenden Harlachinger Heli-Ärzte jeden Tag von 8.00 bis 22.00 Uhr im Einsatz.

Mehr Informationen zur TEMPiS und FIT unter: www.muenchen-klinik.de/tempis-fit und unter www.tempis.de

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