Integrative Medizin hilft den Patienten und dem Gesundheitssystem
30.10.2025 - Fachkräftemangel, stetig steigende Kosten und eine immer älter werdende Gesellschaft belasten das Gesundheitssystem.
Wieso der Einsatz von Integrativer Medizin für Patienten wertvoll und für Krankenhäuser finanziell attraktiv sein kann, erläutert Prof. Dr. med. Mark Dominik Alscher der Initiative Gesunde Vielfalt. Der Mediziner ist Geschäftsführer der Bosch Health Campus GmbH und Internist mit Lehrauftrag an der Universität Tübingen.
Das Robert Bosch Krankenhaus in Stuttgart richtet den Blick gezielt in die Zukunft des deutschen Gesundheitssystems – als Teil des Bosch Health Campus, zu dem neben einem großen Forschungsbereich seit 2023 unter anderem auch ein eigenes Centrum für Integrative Medizin und Gesundheit gehört. „Forschen und Anwenden gehen so Hand in Hand“, betont Prof. Dr. Mark Dominik Alscher. Der Internist und Geschäftsführer der Bosch Health Campus GmbH setzt insbesondere auf evidenzbasierte Therapien der Integrativen Medizin, um der derzeitigen Krise im Gesundheitssystem konstruktiv zu begegnen: „Das Gesundheitswesen steht vor einem gewaltigen Umbruch. Hintergrund sind der Fachkräftemangel und die Tatsache, dass wir Menschen immer älter werden, aber auch gesund altern wollen. Der bisherige Betrieb ist sehr an der Akutmedizin orientiert, Stichwort ,Reparaturbetrieb‘“, so Prof. Alscher. „Mittel- und langfristig werden wir uns das als Gesellschaft nicht mehr leisten können. Deshalb müssen wir uns mehr um Gesundheitskompetenz der Menschen kümmern. Und schauen, wie wir mit sekundär- und tertiärpräventiven Ansätzen im Rahmen einer integrativmedizinischen Therapie die Menschen gesünder halten, damit sie, salopp gesagt, seltener Reparaturen brauchen“, fügt Prof. Alscher hinzu[1].
Komplementärmedizin mit breitem Indikationsportfolio
Die schon 2015 gegründete Abteilung für Naturheilverfahren bestätigt kontinuierlich diese Vision. „Die Nachfrage ist sehr groß“, erläutert Prof. Alscher. „Viele Patienten wenden sich explizit mit dem Wunsch an uns, integrativmedizinisch behandelt zu werden.“ Das gelte vor allem für alle chronischen und schweren Erkrankungen. „Inzwischen ergänzt die Komplementärmedizin nicht nur in der Onkologie unser schulmedizinisches Angebot, sondern etwa auch in der Herzchirurgie sowie in der Behandlung von Erkrankungen des Blutes und des Lymphsystems“, so Prof. Alscher. Die Menschen profitierten sehr von integrativen Ansätzen, sie fühlten sich besser und ganzheitlich versorgt. „Das zeigt uns: Wir müssen neben dem akuten medizinischen Problem auch seelische Dimensionen des Menschseins ansprechen. Es wird eben nicht nur die ,böse‘ Blutzelle behandelt, sondern der ganze Mensch. Und da ermöglichen integrative Ansätze mehr.“ Interessenten müssen sich gedulden: Ob der Beliebtheit ist die Wartezeit lang.
Kompaktprogramm macht Patienten selbstwirksam
Insbesondere die Lebensqualität und das Wohlbefinden der Patienten bessere sich, weil sich zum Beispiel Nebenwirkungen einer Chemotherapie wie Übelkeit oder Ängste vor der Behandlung durch Akupressur und Akupunktur lindern ließen. Zudem wurde ein ergänzendes integrativmedizinisches Kompaktprogramm für Menschen mit Krebserkrankungen entwickelt. „Darin vermitteln wir unseren Patienten, wie sie mit einfachen Methoden und durch Veränderungen in der Lebensführung selbst dazu beitragen können, dass es ihnen trotz ihrer schwerwiegenden Erkrankung emotional, mental und körperlich besser geht.“ Dazu gehören Ernährungsempfehlungen und Entspannungs- und Achtsamkeitsmethoden wie Meditation oder Yoga[2]. „Im Rahmen dieser Tertiär-Prävention messen wir in wissenschaftlich fundierten Studien, ob diese Behandlung Einfluss darauf hat, ob und wann ein Patient wieder in eine Klinik muss, weil seine Erkrankung zurückkehrt. Schon jetzt können wir sagen, dass solche Angebote den Patienten erheblich zuträglich sind. So würden Menschen mit Brust-, Darm- und Prostatakrebs von Yoga profitieren, weil dieser Ansatz etwa auch die starke Erschöpfung (Fatigue) lindern könne: „Das hat eine Metaanalyse von 29 Studien gezeigt[3].“ Wärme-Kälte-Anwendungen nach Kneipp zeigten ebenso erste gute Ergebnisse[4], hier brauche es aber noch mehr hochwertige Studien.
Wissenschaftliche und wirtschaftliche Evidenz
Diese werden auch direkt vor Ort im eigenen Forschungsbereich von mehr als 200 Mitarbeitenden vorangetrieben. „Wir sind offen für andere Methoden der Medizin, sie müssen aber evidenzbasiert sein“, betont Prof. Alscher. „Wo sie dies nicht sind, ist es wichtig, wissenschaftliche Nachweise zu erbringen. Deshalb haben wir uns stark dafür engagiert, dass das Land Baden-Württemberg einen Lehrstuhl einrichtet zur Erforschung der komplementären Medizin.“ Dieser ist seit 2022 in Tübingen an der Universität angesiedelt, Prof. Holger Cramer hat ihn inne. Er ist zugleich der wissenschaftliche Leiter am Robert Bosch Centrum für Integrative Medizin und Gesundheit (RBIM) des Bosch Health Campus. Neben Patienten profitiere auch das Krankenhaus selbst von den Ansätzen der Integrativen Medizin: „In der Regel handelt es sich um keine sehr aufwändigen oder kostenintensiven Methoden“, betont Prof. Alscher. „Zudem gibt es für Krankenhäuser attraktive Möglichkeiten der Refinanzierung durch Verträge zur Integrierten Versorgung mit den gesetzlichen Krankenkassen. Dadurch tragen sich die Integrativen Maßnahmen, im Idealfall erwirtschaften wir Gewinn.“
Vita Prof. Dr. med. Mark Dominik Alscher
Der gebürtige Stuttgarter studierte Medizin an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, um danach, mit beruflichen Stationen in den USA, in seiner Heimatstadt Karriere zu machen: Am Robert Bosch Krankenhaus (RBK) absolvierte er die Ausbildung zum Internisten und Nephrologen, arbeitete dort als Oberarzt, Chefarzt und wurde 2009 zum Ärztlichen Direktor der Gesamtkliniken des RBK ernannt. Seit 2015 ist Prof. Dominik Alscher Geschäftsführer, seit dessen Gründung auch des Bosch Health Campus.
[1] Primärprävention: Krankheitsvermeidung / Sekundärprävention: Behandlung einer Erkrankung im Frühstadium / Tertiärprävention: Therapie einer chronischen Erkrankung durch Maßnahmen wie Patientenschulung
[2] Hardoerfer K, Jentschke E: Effect of yoga therapy on symptoms of anxiety in cancer patients. Oncol Res Treat 2018; 41: DOI:10.1159/000488989
[3] Armer J, Lutgendorf S: The Impact of Yoga on Fatigue in Cancer Survivorship: A Meta-Analysis. JNCI Cancer Spectrum (2020); 4(2): pkz098
[4] Ortiz M, Koch A, Cramer H et al: Clinical effects of Kneipp hydrotherapy: a systematic review of randomized controlled studies. BMJ open (2023 July 2023): 10.1136