Gesundheitspolitik

Lösungsansätze, um Organmangel zu begegnen

09.10.2021 - Die Widerspruchslösung konnte politisch nicht durchgesetzt werden, Transplantationsmedizinerinnern und -mediziner werten das als vertane Chance. Umso wichtiger sei es nun, die anderen Stellschrauben zu betätigen, um bei der Organspende endlich einen positiven Trend herbeizuführen.

Dazu zählen u. a. die Einführung eines Registers, in dem der Organspendewille hinterlegt ist, die Zulassung von Organen von Spendern, die an einem Herzversagen verstorben sind, oder die Öffnung der Lebendspenderegeln. „Wir müssen diese Maßnahmen jetzt beherzt angehen, damit sich endlich etwas tut!“

Fast 10.000 Menschen in Deutschland warten auf ein lebensrettendes Organ – doch nur 3.347 Menschen konnten im Jahr 2020 transplantiert werden. Seit Jahren herrscht ein eklatanter Organmangel und bislang konnte keine, auch noch so gut gemeinte oder auch gut gemachte Kampagne oder gesellschaftspolitische Initiative eine Trendwende herbeiführen.

„Die Stärkung der Spendebeauftragten – fälschlicherweise Transplantationsbeauftragte genannt – war zwar ein erster wichtiger Schritt. An den Zahlen sieht man aber, dass dies alleine nicht ausreichend ist. Auch das Gesetz zur ‚Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende‘ haben wir begrüßt, doch noch ist nicht wirklich absehbar, welchen Effekt es im Endeffekt haben wird“, erklärt Prof. Dr. Vedat Schwenger, Stuttgart, Kongresspräsident der DTG-Jahrestagung 2021. „Wir glauben, dass dringend weitere Maßnahmen benötigt werden, damit Patientinnen und Patienten mit Organversagen in Deutschland eine reelle Chance haben, in einer akzeptablen Zeitspanne ein lebensrettendes Organ zu erhalten.“

Welche Maßnahmen können das sein? Der Stuttgarter Experte hält die Widerspruchslösung für einen ganz zentralen Baustein und bedauert, dass die Initiative, sie im Transplantationsgesetz zu verankern, gescheitert ist. „Die Politik hat hier eine große Chance vertan. Wir Transplantationsmediziner glauben, dass die Widerspruchslösung flankiert durch weitere Maßnahmen einen deutlichen Unterschied gemacht hätte, wenngleich dies von einigen Politikern immer wieder bestritten wurde.“ Menschen mit Organversagen in Deutschland sind durch die Nichteinführung der Widerspruchslösung gegenüber Menschen in anderen EU-Ländern, die inzwischen überwiegend die Widerspruchslösung praktizieren, im Nachteil und haben somit auch ein höheres Versterberisiko. Prof. Schwenger weist darauf hin, dass die politische Entscheidung auch nicht der Meinung der Mehrheit der Bevölkerung entspricht, denn knapp 80% der deutschen Bevölkerung haben grundsätzlich eine positive Einstellung zur Organspende.

Doch es gibt noch weitere „Stellschrauben“, um die Situation der Organspende zu verbessern:

- Einführung eines Registers, in dem der Organspendewille hinterlegt ist

Der Organspendeausweis ist kein verlässliches Dokument und ist bei Verunfallten oft nicht auffindbar. Viele Angehörige werden dann nach dem Willen des Verstorbenen gefragt und fühlen sich in der Situation der Trauer völlig überfordert, eine Entscheidung zu fällen, insbesondere wenn sie die Frage nie wirklich thematisiert haben. Ein Register, auf das Spendebeauftragte Zugriff hätten und in das der Organspendewille nach turnusmäßiger Abfrage hinterlegt wird, würde viele Probleme lösen: Es gibt Gewissheit, im Sinne des Verstorbenen zu handeln, und entlastet somit letztlich auch die Hinterbliebenen.

Ein weiterer Vorteil: Durch das regelmäßige Abfragen werden mehr Menschen motiviert, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und eine Entscheidung zu fällen, was derzeit offensichtlich aus „Bequemlichkeit“ nicht passiert: Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wären etwa zwei Drittel der Bürger spendebereit, aber nur knapp ein Drittel trägt einen Organspendeausweis bei sich (in der Wahrnehmung von Medizinern auf der Notfallaufnahme und Intensivstation ist der Anteil sogar noch deutlich geringer).

- Zulassung von Organen von Spendern, die an einem Herzversagen verstorben sind

Die Zahl der Organspender ist in den letzten Jahren auf niedrigem Niveau stabil. Bisherige Maßnahmen zur Steigerung der Organspende zeigten bislang keinen nennenswerten Effekt. Es ist daher zu überlegen, ob auch Verstorbene für eine Organspende zugelassen werden sollten, die an einem Herzversagen versterben („non heart-beating donor“). In den Niederlanden beispielsweise werden diese „non heart-beating“-Organe transplantiert und haben zusammen mit Einführung der Widerspruchslösung und Öffnung der Lebendspenderegeln dazu geführt, dass die Wartezeiten auf ein neues Organ wesentlich kürzer sind als bei uns (durchschnittlich 2 Jahre vs. 8-10 Jahre). Auch in den USA, in Belgien oder Österreich werden diese Organe transplantiert.

- Öffnung der Lebendspenderegeln

Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es in Deutschland nicht die Möglichkeit der Kettenspende oder der altruistischen Spende. „Auch wenn die DTG die Lebendspende grundsätzlich als subsidiär ansieht, müssen wir angesichts der vielen Menschen, die auf der Warteliste versterben, auch diese Konzepte diskutieren“, betont Prof. Schwenger.

- Mehr Forschungsförderung, um neue Ansätze (Organregeneration, Bioprinting, Xenotransplantation) schneller zu entwickeln und die „Laufzeit“ von Organen zu verlängern

Die medizinische Forschung arbeitet intensiv daran, Organe zu regenerieren oder vielleicht sogar züchten zu können. 2015 gelang es erstmals, Nierenorganoide aus induzierten pluripotenten Stammzellen zu entwickeln. Doch der Weg vom Organoid bis zum komplexen, funktionstüchtigen Organ ist noch weit. Auch das 3D-Bioprinting hat sich rasant entwickelt, bislang können aber nur einfache Gewebe (Knorpel, Haut etc.) erzeugt werden, auch nur in kleinen Volumina. Ebenso stellt die Xenotransplantation, also die Transplantation von Organen oder Gewebeteilen auf ein Lebewesen einer anderen Art, beispielsweise vom Tier auf den Menschen, einen vielversprechenden Forschungsansatz dar, aber auch hier werden noch Jahre vergehen, bis das Verfahren sicher erforscht ist und im klinischen Alltag zur Anwendung kommen könnte.

Greifbarer ist der Ansatz, die „Laufzeit“ von Organen zu verlängern. Auch bei modernen Immunsuppressiva besteht das Risiko langfristiger, schleichender Organabstoßungen. Vor dem Hintergrund des bestehenden Organmangels ist daher das Verhindern von Abstoßungen ein wichtiger Aspekt. Die Optimierung der Immunsuppression kann zu einer verlängerten Laufzeit der Organe führen, viele kleine Fortschritte wurden in den letzten Jahren erzielt. Aktuell hat ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Heidelberg eine neue Methode entwickelt. Es handelt sich um eine Zelltherapie („MIC-Therapie“), durch die eine spezifische immunologische Toleranz gegenüber den Fremdantigenen des Spenderorgans induziert wird. Möglicherweise kann diese Therapie helfen, die Funktionstüchtigkeit von Spenderorganen im Körper des Empfängers noch länger aufrechtzuerhalten, Studien dazu laufen.

„Die Forschungsimpulse aus der Transplantationsmedizin sind enorm innovativ und angesichts des Organmangels ist es von höchster gesellschaftlicher Bedeutung, transplantationsmedizinische Forschungsprojekte zu stärken, auszubauen und in sie zu investieren. Langfristig wird die Medizin für das Problem ‚Organmangel‘ nachhaltige Lösungen entwickeln“, da ist sich der Stuttgarter Experte sicher. Doch angesichts der langen Wartelisten und der Verzweiflung der Menschen, die auf ein Spenderorgan warten, könne man nicht noch Jahre und Jahrzehnte auf einen medizinischen Durchbruch warten, sondern müsse die strukturellen und gesellschaftlichen Hürden schnellstmöglich beseitigen. „Wir müssen die oben aufgeführten Maßnahmen jetzt beherzt angehen, damit sich endlich etwas tut“, so das Fazit von Prof. Schwenger.

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