Medizin & Technik

Luftverschmutzung fördert die Entstehung von rheumatoider Arthritis

05.09.2022 - Der genaue Einfluss von Umweltverschmutzung auf die Entstehung von Autoimmunerkrankungen ist noch in vielen Fragen ungeklärt.

Neuere Daten zeigen jedoch einen eindeutigen Zusammenhang: Wer über einen langen Zeitraum Luft ausgesetzt ist, die mit Schadstoffen angereichert ist, entwickelt mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit eine rheumatoide Arthritis. Dabei spielt auch die Größe der Toxinpartikel eine Rolle für das Krankheitsrisiko.

Luftverschmutzung ist einer der Umweltfaktoren, die das Risiko für Krankheitsentstehung mit am meisten erhöhen. Laut der WHO-Studieninitiative „Global Burden of Disease“ lag die Zahl vorzeitiger Todesfälle durch Luftverschmutzung 2016 bei rund fünf Millionen Fällen pro Jahr weltweit. „Diese Tendenz ist in den vergangenen 30 Jahren klar gestiegen und wird laut Prognosen in den kommenden 20 Jahren noch weiter steigen, falls keine entsprechenden Maßnahmen getroffen werden“, sagt Prof. Hendrik Schulze-Koops, 2. Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) und Leiter der Sektion Rheumatologie und Klinische Immunologie, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Auch auf die Entstehung und den Verlauf entzündlich-rheumatischer Erkrankungen wirken sich Umweltfaktoren aus. Luftverschmutzung kann etwa eine Antwort des Immunsystems gegen bestimmte Fremdkörper und Entzündungsreaktionen auslösen. Zudem ist aus früheren Studien bekannt, dass die Entstehung von rheumatoider Arthritis mit dem Rauchen, aber auch mit der Nähe zu Straßen und verschmutzter Luft in Verbindung steht. Der allgemeine Zusammenhang zwischen einer langanhaltenden Einwirkung von schadstoffbelasteter Luft und dem Risiko, eine Autoimmunerkrankung zu entwickeln, war jedoch bislang unklar.

Analyse von Wohnort und Krankengeschichte zeigt klares Bild

Eine aktuelle Studie der Autoren um Giovanni Adami, die in der Fachzeitschrift RMD Open erschien, fand nun einen eindeutigen Zusammenhang zwischen luftverschmutzenden Partikeln und dem Auftreten von Autoimmunerkrankungen. Zu diesen Krankheiten gehören etwa die rheumatoide Arthritis, aber auch Lupus, Sklerose und Bindegewebserkrankungen sowie Krankheiten des Magen-Darm-Trakts oder immunvermittelte neurologische Krankheiten wie Multiple Sklerose.

In der Studie werteten die Forschenden retrospektiv die Daten von 80.000 Einwohnern aus ganz Italien aus, die im Zeitraum zwischen 2016 und 2020 erfasst worden waren. Sie analysierten die Luftqualität an verschiedenen Punkten und verglichen sie mit den Krankenakten der Bewohner in diesen Gegenden. Zu den gemessenen Komponenten zählen feste Partikel und gasförmige Substanzen, die vor allem aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe in Industrie und Verkehr hervorgehen. In den Messungen war vor allem feste Partikelmaterie (PM) enthalten, die sich aus Schwermetallen,  kohlenstoffhaltigen Substanzen, Gasen wie Kohlenmonoxid oder Stickoxid und anderen chemischen Komponenten zusammensetzt.

Es zeigte sich eine sehr deutliche Verbindung zwischen der Menge an Schadstoffpartikeln der definierten Größe PM10, und dem Auftreten von Autoimmunerkrankungen. „Mit jedem Anstieg der PM10-Konzentration um 10 μg/m3 stieg das Risiko einer rheumatoiden Arthritis um sieben Prozent", erklärt Prof. Schulze-Koops. Mit einem erhöhten Risiko für andere Autoimmunerkrankungen stand PM10 nicht in Verbindung. Personen, die hohen Mengen von kleineren Partikeln ausgesetzt waren (PM2.5) wiesen jedoch sowohl ein erhöhtes Risiko für rheumatoide Arthritis als auch für Bindegewebserkrankungen und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen auf.

Umweltschutzmaßnahmen zur Verhinderung von Krankheiten notwendig

„Es zeichnet sich ab, dass die Häufigkeit von vor allem entzündlich-rheumatischen Autoimmunerkrankungen durch Umweltverschmutzung gefördert werden kann“, so Prof. Schulze-Koops. Autoimmunerkrankungen traten in den vergangenen zehn Jahren häufiger auf als zuvor. Die Gründe dafür sind noch nicht vollständig entschlüsselt, aber grundlegend gehen Forschende von einem Zusammenspiel zwischen genetischer Veranlagung und Umwelteinflüssen, wie etwa Luftverschmutzung, aus. „Auch wenn ein Verifizieren der Daten durch weitere Studien notwendig ist, sollten die Erkenntnisse Einzug in aktuelle Debatten finden. Es braucht dringend nachhaltige Maßnahmen zur Verhinderung von Luftverschmutzung. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zur Vorbeugung chronischer Krankheiten."

Statement von Prof. Dr. Hendrik Schulze-Koops, Leiter der Sektion Rheumatologie und Klinische Immunologie, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München

Führt Umweltverschmutzung zu Arthritis?

Gäbe es nicht Corona, wäre die – von Aggressionen und Gewalt abgesehen – bedeutendste Krise, über die in den Medien berichtet würde, zweifellos der durch den Menschen verursachte Klimawandel. Erderwärmung mit allen ihren Konsequenzen – eine Folge der Industrialisierung und des verantwortungslosen Umgangs mit der Natur. Dies hat Folgen für die Menschheit als Ganzes, aber Umweltfaktoren, insbesondere die Verschmutzung der Umwelt, spielen auch eine Rolle in der Entwicklung und im Verlauf zahlreicher Erkrankungen. So schätzt die Global Burden of Disease-Initiative die Anzahl der Todesfälle durch Umweltverschmutzung auf nahezu fünf Millionen pro Jahr weltweit, mit einer klaren Tendenz der Zunahme in den letzten 30 Jahren. Auch muskuloskelettale Erkrankungen sind mit Umweltfaktoren in Zusammenhang zu bringen: Schon seit Anfang der 1990er-Jahre ist ein Zusammenhang der rheumatoiden Arthritis mit dem Rauchen beschrieben.

In einer aktuellen Studie hat eine italienische Arbeitsgruppe um Giovanni Adami einen Zusammenhang zwischen luftverschmutzenden Partikeln und dem Auftreten von Autoimmunerkrankungen untersucht. Dazu haben die Autoren retrospektiv die Daten von 80.000 Einwohnern aus ganz Italien analysiert, die in der Zeit zwischen 2016 und 2020 erfasst wurden. In der Zeit von 2013 bis 2020 wurde die Luftqualität automatisch an verschiedenen Punkten im Land gemessen. Durch Vergleich der Luftqualitätsdaten mit den über die Postleitzahl der Bewohner ermittelten Wohnlage und einem Abgleich der Krankenakten der untersuchten Bewohner konnten Zusammenhänge zwischen der Luftqualität und dem Auftreten von Erkrankungen hergestellt werden.

Interessanterweise ergab sich eine signifikante Assoziation zwischen der Konzentration definierter Schadstoffpartikelgrößen (PM10) und dem Auftreten von Autoimmunerkrankungen. Jeder Anstieg der PM10-Konzentration um 10 μg/m3 war mit einem zusätzlichen Risiko von sieben Prozent für eine Autoimmunerkrankung verbunden. Dabei waren durchaus nicht alle Autoimmunerkrankungen betroffen: Die Exposition gegenüber PM10 wurde mit einem erhöhten Risiko für die rheumatoide Arthritis (aOR 1,408, 95 Prozent CI 1,271-1,560), nicht aber für andere Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht. Die Exposition gegenüber hohen Werten von kleineren Partikeln (PM2.5) stand dagegen mit einem erhöhten Risiko für die rheumatoide Arthritis (aOR 1,559, 95 Prozent CI 1,401-1,734), für Kollagenosen (aOR 1,147, 95 Prozent CI 1,024-1,286) und für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (1,206, 95 Prozent CI 1,028-1,415), aber mit keinen anderen Autoimmunerkrankungen inVerbindung.

Zusammenfassend zeigen diese Daten, dass das Auftreten von bestimmten Autoimmunerkrankungen – insbesondere entzündlich-rheumatischer Autoimmunerkrankungen – durch Umweltverschmutzung gefördert werden kann. Die Daten müssen sicherlich in weiteren Studien verifiziert werden; sie zeigen aber einen wichtigen Aspekt der Pathogenese von chronischen Entzündungserkrankungen auf und sollten daher bereits jetzt in der Diskussion um Luftverschmutzung und deren Auswirkungen nicht nur auf die Menschheit als Ganzes, sondern auch auf individuelle Personen berücksichtigt werden – und zu Maßnahmen führen, die Umweltverschmutzung zu reduzieren und damit die Entstehung von chronischen Erkrankungen zu vermeiden.

Quelle: Pressekonferenz anlässlich des 50. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) (hybrid), der 36. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh) und der 32. Jahrestagung der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR), 01. September 2022

 

 

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