Hygiene

Schlupfloch der klinischen Lebensmittelhygiene

14.04.2022 - Werden unverkaufte saisonale Schokoladen-Hohlkörperfiguren neu verpackt und wiederverwendet?

Saisonale Schokoladenfiguren sind ein typisches Mitbringsel für Patienten und klassisches Präsent für Krankenhauspersonal während der Oster- und Weihnachtsfeiertage. So stellen Osterhasen, Weihnachtsmänner und Nikoläuse aus Schokolade möglicherweise ein unverdächtiges Einfallstor für Lebensmittel mit potenziell toxischen Eigenschaften (abgelaufene Verfallsdaten für den Verzehr, bakterielle Kontamination etc.) dar. In Gesundheitseinrichtungen muss jedoch die Wahrscheinlichkeit einer Lebensmittelintoxikation zum Wohle der Patienten und des medizinischen Personals auf ein absolutes Minimum begrenzt werden. Alle Waren zunächst auszupacken, um ihre Genießbarkeit festzustellen, ist im klinischen Alltag praktisch unmöglich.

CRECHE-Studie: Nikolaus und Osterhase – saisonal neu foliert?

Der urbane Mythos, dass in der vergangenen Saison unverkaufte Schokoladenartikel in eine neue „Festtags-aktuelle“ Folie verpackt und abermals zum Verkauf angeboten werden, wurde von den namhaften Süßwarenherstellern strikt mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass gesetzliche Vorgaben ein erneutes Inverkehrbringen bereits ausgelieferter Produkte undenkbar machen. Ein wissenschaftlicher Beweis zugunsten oder gegen den Mythos bzw. der Stellungnahme der Produzenten wurde hingegen bisher nicht geführt

Das CRECHE (Computed tomography to Rebut the myth that chocolate Easter and Christmas Hollow figurines are re-used and may not be safely Edible), übersetzt “Krippe”, Konsortium stellte sich nun die Frage, ob eine radiologische Bildgebung mittels Computertomographie (CT) Unterschiede in der Struktur und Textur von saisonalen Schokoladenhohlfiguren i.S. eines Screening-Verfahrens aufdecken kann. Bestünden keine Unterschiede zwischen Oster- und Weihnachtsfiguren, würde dies die These einer Wiederverwendung generischer Hohlkörper stützen. Würden im Gegenzug erhebliche Unterschiede zwischen der Form von Oster- und Weihnachtsartikeln festgestellt werden, könnte dies den urbanen Mythos entkräften.

Mit CT-Bildgebung Schokofigurinen morphologisch Screenen

Im April und Mai 2020 wurden vom Studienteam an zwei Klinikstandorten (BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin und BG Klinikum Duisburg) 21 kommerziell erhältliche Schokoladen-Osterhasen erworben, zwischen Oktober und November 2020 weitere 23 Weihnachtsmänner bzw. Nikoläuse von insgesamt elf verschiedenen Herstellern. Nach Ausschluss von Duplikaten verblieb eine Stichprobe von 18 bzw. 15 Schokoladen-Hohlkörpern. Nach positivem Ethikvotum und Studienregistrierung in CurrentControlledTrials (ISRCTN16847363) wurden die Untersuchungsobjekte mittels standardisiertem Ganzkörper-Protokoll im 128-Zeilen-CT gescannt, gefolgt von dreidimensionalen Bildrekonstruktionen (Abb. 1).

Die Aufnahmen wurden von vier gegenüber den Produkten verblindeten Fachärzten für Radiologie beurteilt. Anhand der eigens für die Studie entwickelten visuellen 100 mm Contour Resemblance Scale (CRS) bewerteten diese, ob der Prüfkörper eher einem Osterhasen oder einem Weihnachtsmann bzw. Nikolaus ähnelte. Die bildgebende Differenzierung zwischen den Saisonartikeln gelang eindeutig – die Mittelwertdifferenz im CRS betrug 84,2 Punkte (95% Konfidenzintervall 78,5 bis 90,0). Die Übereinstimmung zwischen den Untersuchern erwies sich als ausgezeichnet (Intraclass Correlation Coefficient 0,99).

GRINCH-Fragebogen: Lebensmittelsicherheit – Glauben an das Gute?

Begleitet wurde der radiologisch-experimentelle Abschnitt von einer anonymisierten Befragung in beiden Studienzentren, welche für Patienten, Besucher und Mitarbeiter offen war. Zwischen September und Oktober 2020 beantworteten 502 Teilnehmerinnen und Teilnehmer den ebenfalls speziell für diese Untersuchung entwickelten Fragebogen GRINCH (Generic Risk Items Noted by Chocolate-consumers in Health care settings). Dieser bestand aus fünf Aussagen (1. Ich esse gerne Schokolade, 2. Schokoladenweihnachtsmänner sind neu verpackte Osterhasen, 3. Abgelaufene Schokolade ist gesundheitsschädlich, 4. Schokoladenmitbringsel sollten im Krankenhaus auf ihre Unbedenklichkeit und Sicherheit geprüft werden, 5. Ich habe mich einmal nach dem Verzehr abgelaufener Schokolade unwohl gefühlt), welchen eine 6-Punkte-Likert-Skala (stimme voll zu bis stimme gar nicht zu) zugeordnet war. Je 28% und 30% aller Teilnehmenden stimmten bzw. stimmten voll der Neuverpackungs-Vermutung und der Notwendigkeit einer Unbedenklichkeitsprüfung zu (Abb. 2).

Evidenz gegen Annahme eines Schlupflochs

Die CRECHE-Studie liefert wissenschaftliche Hinweise gegen die Legende, dass nicht verkaufte Schokoladen-Saisonartikel neu verpackt und abermals in Umlauf gebracht werden. In diesem Rahmen bietet die Bildgebung natürlich nur einen Baustein, um die eingangs gestellte Hypothese zu belegen oder zu widerlegen – es könnte vermutet werden, dass Schokolade eingeschmolzen und umgeformt wird. Der an der Studie beteiligte Experte für Lebensmittelchemie und -toxikologie, Institut für Lebensmitteltechnologie und Lebensmittelchemie der Technischen Universität Berlin, schätzte dies jedoch aufgrund der hierfür erforderlichen Logistik allein aus Kosten-Nutzen-Überlegungen als unwahrscheinlich ein. Somit besteht Evidenz gegen die Annahme eines Schlupfloches in der klinischen Lebensmittelhygiene durch recycelte Schokoladenhohlfiguren an Festtagen.

Hintergrund:

Wenngleich diese Untersuchung humoristische Züge trägt, so garantieren die Studienverantwortlichen die strikte Einhaltung wissenschaftlicher und ethischer Standards wie ICH-GCP, Datenschutz gemäß EU-DSGVO, die professionelle statistische Auswertung der Ergebnisse und ihre Berichterstattung im Einklang mit EQUATOR-Empfehlungen. Es wurden keine personenbezogenen Daten erhoben. Die Anwendung von Röntgenstrahlen im Zuge der CT-Diagnostik erfolgte ausschließlich an unbelebten Objekten, welche nach der Untersuchung nicht zum Verzehr freigegeben wurden.

Die Originalpublikation von Stengel, Hönning, Just, et al. erschien in der Weihnachtsausgabe des Medical Journal of Australia, 2021 Dec 13;215(11):531-535: The CRECHE study: testing the urban myth that chocolate Santa Clauses are re-wrapped Easter Bunnies.

Autoren: Prof. Dr. Dirk Stengel, BG Kliniken – Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung, Berlin, und Dr. Leonie Gölz, Institut für Radiologie und Neuroradiologie, BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin

Den Originalbeitrag finden Sie in der aktuellen M&K 4/2022.

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