Gesundheitsökonomie

113. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin

06.06.2012 -

113. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Patientenverfügungen gelten als gefährlich. Wer eine Patientenverfügung verfasst, riskiert, dass Ärzte sich an das Verfügte halten, während sich die eigene Einstellung zu Sterben und Tod im Laufe der Zeit geändert haben könnte. Bewertet wird diese Gefahr der Willensänderung allerdings ganz unterschiedlich. Weite Teile unserer Bevölkerung nehmen das Risiko des Irrtums über die eigenen Wünsche am Lebensende bewusst auf sich vor dem Hintergrund, dass selbstbestimmtes Planen in die Zukunft hinein immer risikobehaftet ist. „Lieber nicht so gut sterben, als fremdbestimmt“, so der Kerngedanke, den das Patienten-Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz) anerkennt und der hier im Vordergrund steht.

Andere Gruppen – etwa die Evangelische Kirche in ihrer aktuellen Stellungnahme – halten das der Patientenverfügung innewohnende Irrtumsrisiko mit Blick auf das Grundrecht auf Leben für ethisch nicht vertretbar. Sie fordern daher eine „Reichweitenbegrenzung“, die die Wirksamkeit der Patientenverfügung auf Patienten mit inkurablen, zum Tode führenden Krankheiten beschränken soll. Beide Auffassungen bilden aktuell die Grundlage für zwei konträre Gesetzentwürfe: Den liberalen „Stünker-Entwurf“, der es bei der unbeschränkten Verbindlichkeit der Patientenverfügung belassen will, und den des CSU-Abgeordneten Bosbach, der eine Reichweitenbeschränkung vorsieht. Der Bundestag will beide Entwürfe im Sommer erneut diskutieren, um vielleicht noch in diesem Jahr ein Patientenverfügungsgesetz zu verabschieden.

Wie ist die aktuelle Rechtslage?

Obwohl heute noch keine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung existiert, ist sie nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein anerkanntes Rechtsinstitut. Dass der Patientenwille immer, auch bei vitaler Indikation und auch wenn er unvernünftig erscheint, Vorrang hat vor dem aus ärztlicher Sicht Nützlichen, hatte schon das Reichsgericht im Jahr 1896 entschieden. Der Bundesgerichtshof setzte 1957 und fortan in ständiger Rechtsprechung diese am Vorrang des Selbstbestimmungsrechts orientierte Rechtsprechung fort. Im „Kemptener Urteil“ von 1994 wurde dann klargestellt, dass schriftliche Äußerungen des Patienten das wichtigste Indiz bei der Suche nach dem mutmaßlichen Patientenwillen sind, wenn ein Patient nicht mehr ansprechbar ist. Explizit betont wurde die Verbindlichkeit der Patientenverfügung dann in einem Beschluss des Bundesgerichtshofs v. 17.03. 2003, was bereits 1999 mit den „Handreichungen der Bundesärztekammer zum Umgang mit Patientenverfügungen“ Eingang in das ärztliche Berufsrecht gefunden hatte.

Warum besteht so viel Unsicherheit über die Verbindlichkeit der Patientenverfügung?

Die zurzeit weit verbreitete Verunsicherung in vielen Krankenhäusern ist teils in der jüngeren, etwas verwirrenden Rechtsprechung begründet, sie wird zum größeren Teil aber durch Verständigungsprobleme zwischen Juristen und Ärzten über den Begriff „verbindlich“ hervorgerufen. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte am 17.03.2003 über die bis dato umstrittene Frage zu entscheiden, ob in Betreuungsfällen das Vormundschaftsgericht einer Therapiebegrenzung am Lebensende zustimmen muss.

Insoweit hat er eine einfache Lösung gefunden: Wenn der verantwortliche Arzt eine Fortsetzung der Therapie eindeutig für sinnvoll hält, der Betreuer sie aber unter Berufung auf eine Patientenverfügung ablehnt, dann, und nur dann, soll das Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden. Leider hat der Senat am Rande noch versucht, die Grundsätze zur Therapiebegrenzung aus dem „Kemptener Urteil“, einem Urteil des 1. Strafsenats, wiederzugeben. Dabei kam es aber zu einem Interpretationsfehler und der vermeintlichen Begrenzung der Verbindlichkeit der Patientenverfügung auf Situationen, in denen die „Grunderkrankung einen irreversibel tödlichen Verlauf“ genommen hat.

Schwierigkeiten bei der Verständigung zwischen Juristen und Ärzten

Missverständnisse über die rechtliche Bedeutung der Patientenverfügung rühren, das zeigen Fortbildungen zum Thema in Krankenhäusern immer wieder, auch her von einem verschiedenartigen Verständnis des Begriffs „verbindlich“. Während Nichtjuristen häufig denken, eine „verbindliche“ Patientenverfügung sei wortwörtlich umzusetzen, gehen Juristen bei geschriebenen Texten immer wie selbstverständlich davon aus, dass diese anhand der Umstände des Einzelfalls ausgelegt werden müssen. Wenn wir Juristen an Ärzte appellieren, die Verbindlichkeit der Patientenverfügung anzuerkennen, ist deshalb stets mit ausgesprochen, dass Ärzte die Patientenverfügung im Lichte der konkreten Umstände auslegen dürfen, ja sogar müssen, um im Einzelfall dem mutmaßlichen Patientenwillen so nahe wie möglich zu kommen und dann in letzter Verantwortung zu entscheiden.

Ist ein Patient einwilligungsunfähig und hat sein Grundleiden einen irreversibel tödlichen Verlauf genommen, so müssen lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor – etwa in Form einer sog. Patientenverfügung – geäußerten Willen entspricht. Dies folgt aus der Würde des Menschen, die es gebietet, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Handeln nicht mehr in der Lage ist. Nur wenn ein solcher erklärter Wille des Patienten nicht festgestellt werden kann, beurteilt sich die Zulässigkeit solcher Maßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten, der dann individuell, – also aus den Lebensentscheidungen, Wertvorstellungen und Überzeugungen – zu ermitteln ist.

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