Hygiene

Stiller Schatten im Urban Jungle - Vom Wert des Badezimmer

23.03.2020 -

Der Beitrag von Christoph Metzger, Open Mainded Projektentwicklung Frankfurt am Main/Dreieich stellt die überarbeitete Fassung eines Vortrags dar, der am 16. Oktober 2019 im Rahmen der Fachtagung des Verbandes der Wohnungswirtschaft Bayern in Reit im Winkl gehalten wurde. Er erinnert an Luigi Colani, der am 16. September 2019 in Karlsruhe verstorben ist.  

Mensch und Raum, Licht und Schatten bilden Grundlagen einer Ästhetik des Wohnens, die ihre Leitbegriffe im Zusammenspiel von Architektur und Raumfolgen in wechselnden Jahreszeiten gewinnen. Europäische und asiatische Blickwinkel münden in ein Plädoyer für ein sensorisch inspiriertes Materialverständnisses, das im Bereich von Badezimmern aktuell ist und im Zeichen der Neuroarchitektur steht, wenn Räume intuitiv als angenehm empfunden werden. Holz und Naturstein werden dabei neu entdeckt. Das Material strahlt Ruhe aus und es gestattet Erfahrungen auf seinen Oberflächen, die einer radikalen Moderne im Zeichen des Funktionalismus entgegengesetzt sind. Der Mensch im Raum darf seine Spuren hinterlassen.

Ein Trend ist zu beobachten, der sich seit einigen Jahren abzeichnet, nämlich das Bad als wertvolle Kammer und Lebensraum mit Ambiente-Charakter in atmosphärischen und haptischen Qualitäten neu zu entdecken. Der historische Umbruch mag in den späten 1960er Jahren aus dem Medium bildender Kunst unter dem Label der Pop Art entstanden sein, als die Formensprache der Kunst vom Design aufgegriffen wurde und neue Formen hervorbrachte.  Als 1975 Luigi Colani, einer der bekanntesten, aber auch umstrittensten Designer seiner Zeit, seine erste Villeroy & Boch-Badkollektion mit durchgehenden, ergonomischen Designkonzept vorstellte, war das eine Revolution – und ein Signal, das von der gesamten Sanitärbranche verstanden wurde. Eine neue Ära war angebrochen – das Bad hatte sich vom bloßen Hygieneraum zum Raum der Entspannung und Regeneration entwickelt.

Skulpturale Qualität
Formgebung und Farbe haben Geschichte geschrieben, und so erinnern die Badewelten der 1970er Jahre auch an eine längst vergessene Mode. Sinnbild dabei sind frei im Raum stehende Badewannen geworden, deren plastische Ausformung skulpturale Qualitäten haben und eine stilistische Bandbreite bieten, die bis heute aktuell ist. Doch erst der im Urbanen wohnende Mensch, der am Ende eines Tages die Wanne als Ort der Reinigung aufsucht, vollendet das Bild. Was für die Wanne im Raum gilt, kann auf das WC übertragen werden. An Formen der Badewelten kann man zudem eine Ästhetik des Wohnens lernen, die sich jenseits eines harten Funktionalismus bewegt und Räume mit positiven Assoziationen schafft.

Orientierung, Sicherheit, Wohlempfinden sowie die Gestaltung multisensorischer Qualitäten haben Konjunktur. Räume und Raumfolgen als Dramaturgie gestaltet, sprechen Menschen an, die Orte der Ruhe und Kontemplation suchen. Jeder Raum ist durch das Material und die Geschichte seiner Herstellung aufgeladen. Jede Nutzung eines Gebäudes nimmt Geschichten, die sich im Inneren ereignet haben auf. Räume laden sich über die Jahre zum Speicher auf. Auch wir speichern Räume in unseren Erinnerungen.

Das wechselseitige Verhältnis von Menschen und Räumen bildet sich neuerdings im Zeichen der Neuroarchitektur aus, die auch als Dramaturgie wirken kann, von der schon der berühmte Baumeister und Theoretiker Andrea Palladio in der Rhythmisierung von Räumen und deren Erschließung zu berichten wusste. Räume können einladen und zum Verweilen verführen, wie eben auch jene gut rhythmisierten Treppen, deren Stufenfolge dem natürlichen Gang des Menschen angepasst ist und in die gewünschten Gebäudetrakte führt. Raum und Raumfolgen werden gleichermaßen zum Bild einer Erzählung, wenn Licht und Schatten als Spiel kosmischer Kräfte erscheinen. Dabei steht der Mensch im Mittelpunkt einer häuslichen Umgebung, die in den späten 1930er und 1940er Jahren Impulse asiatischer Kultur in Gestalt sensorisch wirksamer Materialien erkennt.

Abschied von der Wohnmaschine  
Das Raumverständnis funktionalistischer Architektur stand in jenen Jahren bereits in einer Kritik, die bis heute wirksam ist. So verließ Charlotte Perriand, Architektin und Designerin von Möbeln, nach zehn Jahren Tätigkeit das Studio Le Corbusier-Jeanneret, um eigene Wege zu gehen und einem ihr gemäßen Menschenbild als Gestalterin zu dienen. Auf Einladung des Ministeriums für Handel und Industrie reiste sie nach Japan, unterrichtete an Schulen und erweiterte ihr Architekturverständnis, das an basalen Belangen der Menschen ausgerichtet war und den Menschen entgegen der Doktrin Le Corbusiers nicht mehr als Teil einer Wohnmaschine verstand. Sie entsprach damit jenen Forderungen, wie diese von dem Literaten Tanizaki Jun‘ Ichiro verfasst wurden. Dieser verteidigt asiatische Werte, die mit traditionellem Material verbunden sind und er erreicht in kurzer Zeit zahlreiche Leser: „Während die Abendländer den Schmutz radikal aufzudecken und zu entfernen trachten, konservieren ihn die Ostasiaten sorgfältig und ästhetisieren ihn, so wie er ist, …, es ist unser Schicksal, dass wir nun einmal Dinge mit Spuren von Menschenhänden, Lampenruß, Wind und Regen lieben oder auch daran erinnernde Farbtöne und Lichtwirkungen.“ (Tanizaki Jun`Ichiro, Lob des Schattens, Manesse, Zürich, 1987, S.23)

Scheinbar nebensächliche Räume rücken ins Zentrum eines Interessens, die von Jung und Alt gleichermaßen positiv erfahren werden sollen, wenn sie nur eine Fülle von Attraktionen besitzen. Grund genug, Aspekte einer multisensorischen Nutzung auch als Dramaturgie zu lesen, wenn jeder Raum eine eigene Atmosphäre ausbildet, die im Zusammenspiel von Material, Gestalt und Oberflächen eine Vielzahl sensorischer Reflexe bietet. So wie jedes Zimmer in der Wohnung einen eigenen Stellenwert hat, so auch ist jedes Haus in eine Umgebung eingebunden, die den Standort prägt und weite Teile der Umgebung in die Räume einfließen lässt. Räume und Raumfolgen bilden sensorische Gesamtheiten, die sich regelrecht als Stimmungen beschreiben lassen und das Befinden der Menschen prägen.

Nuancen, Stimmung, Intimität
Besonders dann, wenn der Mensch mit sich allein seine Zeit an dem stillen Örtchen verbringt, werden Erfahrungen der Ruhe möglich. Größe und Material des stillen Örtchens, machen es erst durch die Verwendung des Baumaterials sowie dessen Formgebung möglich Geräusche und Gerüche so diskret zu absorbieren, dass der Ruhe suchende Mensch den Ort positiv erleben kann. Nur der stille Raum wird zum Instrument: „Ideal wäre ganz besonders jene für den männlichen Gebrauch bestimmte Schüssel in Form einer Trichterwinde, falls sie aus Holz bestünde und mit dunkelgrünen Zedernzweigen ausgelegt würde; denn sie würde jeglichen Schall schlucken“ (Tanizaki, S. 13). Gleichzeitig ist es wichtig, auch die Lichtführung diskret zu gestalten. „So besteht das ästhetische Erleben unserer Räume in nichts anderem als eben in dieser unmittelbaren, abgestumpften Lichtwirkung. Daher […] sind diese Wände absichtlich mit einem Sandbelag in zurückhaltenden, dezenten Farben versehen […] und es gibt von Raum zu Raum leicht veränderte Farbtönungen, um ganz geringe Hell-Dunkel-Nuancen zu erzeugen, die etwa den leichten Stimmungsschwankungen des Betrachters entsprechen“ (Tanizaki, S.34/35). Diskrete Beleuchtung und eine gelungene Zonierung erzeugen einen intimen Ort, der für eines der persönlichsten Bedürfnisse wie geschaffen ist.

Auf diesem Weg gelingt es, eine Folge atmosphärischer Räume zu gestalten, die zum Verweilen einladen. „Tatsächlich gründet die Schönheit eines japanischen Raumes rein in der Abstufung des Schattens. Sonst ist überhaupt nichts vorhanden. Abendländer wundern sich, wenn sie japanische Räume anschauen, über ihre Einfachheit und haben den Eindruck, es gäbe nur graue Wände ohne die geringste Ausschmückung. Das ist durchaus plausibel; aber es zeigt, dass sie das Rätsel des Schattens nicht begriffen haben“ (S.34).

Ideale Räume entstehen, wenn die Möglichkeit gegeben ist, Bewegungen vom Außenbereich in den Wohnbereich zu lenken. „In den Räumen von mächtigen Tempelbauten wird das Licht wegen des großen Abstands zum Garten noch weiter verdünnt, und – sei es Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, sei es ein heiterer oder ein bewölkter Tag, sei es Morgen, Mittag oder Abend – das matte Weiß zeigt kaum eine Veränderung“ (S.39).

Übertragung auf urbane Kontexte
Die Bewahrung traditioneller Werte steht im Zeitalter der industriellen Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche vor großen Herausforderungen, die mit zunehmender Verdichtung urbaner Lebensräume verbunden sind. Es gilt, die Poesie des Schattens und die Kraft der Ruhe, die im Material liegen kann, in urbane Kontexte der Gegenwart zu übertragen. „Doch warum eigentlich tritt die Neigung, das Schöne in der Dunkelheit zu suchen, nur bei den Orientalen in solcher Stärke hervor? Auch im Westen hat es ja wohl eine Zeit ohne Elektrizität, Gas und Erdöl gegeben, aber soweit mir bekannt ist, hat man dort nie den Hang gehabt, sich am Schatten zu ergötzen?“ (S.54).

Reduktion auf natürliche Materialien ist imstande, mit wenigen Mitteln Atmosphären zu sichern. Gleichzeitig ist mit dem Abdunkeln eine Bühnenwirkung verbunden, die kleinste Ereignisse dann mit voller Aufmerksamkeit versieht. „Demgegenüber sind die aktiven Menschen im Westen ständig auf der Suche nach besseren Verhältnissen. Von der Kerze zur Lampe, von der Lampe zum Gaslicht, vom Gaslicht zum elektrischen Licht fortschreitend, streben sie unablässig nach Helligkeit und mühen sich ab, selbst den geringfügigsten Schatten zu verscheuchen“ (S.55).

Literatur wird zum Ort der Erinnerung in der Suche nach einer verloren Zeit, wenn sich durch die Bilder Sehnsuchtspotentiale auftun: „Ich jedenfalls möchte versuchen, unsere schon halbverlorene Welt des Schattens wenigstens im Bereich des literarischen Werks wiederaufleben zu lassen“ (S.74). Literatur erzeugt, wie zu erleben war, Handlungsanweisungen, die auf Planung und Durchführung innovativen Designs Einfluss haben können und auf historischem Wissen um Material und Wirkung beruhen. Archaische Techniken und moderne Verfahren ergänzen sich.  

Mit der Entwicklung des Feuertons und des Schlickergießverfahrens machte das Unternehmen Villeroy & Boch Ende des 19. Jahrhunderts einen wahren Technologiesprung und etablierte die kostengünstige industrielle Herstellung von Sanitärprodukten in großer Stückzahl. Das Ergebnis: Hygiene wurde für alle erschwinglich, das private Badezimmer konnte kommen. Es dauerte jedoch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, bis der Raum wirklich Lebensraum mit entsprechenden haptischen Qualitäten wurde.

Die Bäder aus den 50er- und 60er-Jahren sprechen Bände: Die Funktionalität stimmte, doch kein Designer hatte sich so radikal wie Luigi Colani der einfachen Nasszelle angenommen. Heute spiegelt das Bad die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse wider, wie der Wunsch des Menschen mit seiner Umwelt im Einklang und positiven Resonanzen zu leben. Asiatische und europäische Referenzen in Holz, Lehm und Naturstein verdrängen zunehmend das dominante glänzende Weiß der Sanitärkeramik. Keramisch, matte Oberflächen haben Konjunktur. Natürliche Materialien und Holzoberflächen finden in Badmöbeln entsprechend Geltung und erzeugen Atmosphären, die zuweilen an Lichtungen von Wäldern erinnern. Wenn die Metapher vom Großstadt-Dschungel (Urban Jungle) im Bereich des Wohnens zitiert wird, so bietet das Bad als Ort der Oase und Lichtung der Ruhe hier ihr Bild. Luigi Colani ist auch hier neue Wege in der von ihm bevorzugten Farbe Grün – als Bild natürlichen Wachsens – gegangen.

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