Medizin & Technik

Delir und postoperative kognitive Dysfunktion (POCD)

13.09.2010 -

Das Delir ist die häufigste psychiatrische Diagnose in der Intensivmedizin und gekennzeichnet durch eine akut auftretende Bewusstseinsstörung, die im Verlauf oft schwankt oder fluktuierend verläuft und Störungen der Aufmerksamkeit oder der Wahrnehmung, der Vigilanz und/oder des Denkens beinhaltet. Im Gegensatz dazu ist die postoperative kognitive Dysfunktion POCD als neu aufgetretene kognitive Funktionsstörung nach einem operativen Eingriff definiert, welche insbesondere Merkfähigkeit, Lernfähigkeit, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt.

Die Inzidenz eines Delirs auf der Intensivstation beträgt bei beatmeten Patienten > 70% und geht mit einer erheblich erhöhten Sterblichkeit einher: Im Sechs-Monats-Vergleich hatten die Intensivpatienten mit Delir eine Sterblichkeit von 34% gegenüber 15% bei denjenigen ohne Risikofaktoren für das Auftreten eines intensivmedizinischen Delirs. Diese sind patientenbezogene Faktoren wie Alkohol- und Nikotinabusus und Alter. Nicht patientenbezogenen Risikofaktoren sind fehlender Tag-Nacht-Rhythmus, mangelnder Besuch/Isolation, Fixierung und Transfers zwischen verschiedenen Stationen.

Man unterscheidet beim Delir ein hyperaktives (paranoid-agitiertes) Stadium (17%) von einem hypoaktiven Stadium (26%), welches im Regelfall nicht erkannt wird. Den größten Anteil an Delir-Episoden macht die gemischte Form aus (> 50%), welche gleichzeitig die schlechteste Prognose aufweist. Nachdem die Bedeutung des Delirs im intensivmedizinischen Bereich erkannt war, wird derzeit bei Beatmungspatienten die Steuerung von Sedativa und Analgetika anhand von Sedierungs- und Entwöhnungsprotokollen propagiert, um so ein Delir zu verhindern, oder aber zumindest abzumildern. Grundlage der Steuerung ist die Messung und Überwachung von Analgesie, Sedierung und Delir. Neben der visuellen Analogskale (VAS) zur Messung der Analgesie ist die Richmond-Agitation-Sedation-Skala (RASS) zur Messung der Sedierungstiefe Bestandteil dieser Protokolle. Sie beschreibt den Sedierungszustand des Patienten mit einer einzigen Kennzahl von -5 bis +4 (Tab. 1). Die RAS-Skala kann ein intensivmedizinisches Delir nicht detektieren - eine RAS-Skala von ≥ -3 ist jedoch Voraussetzung, Delir-Checklisten überhaupt beim Patienten anwenden zu können. Hierbei scheint die in Abb. 1 dargestellte Intensive Care Delirium Screening Checklist (ICDSC) zur Identifikation von Patienten mit intensivmedizinischem Delir sehr gut geeignet. Delir-Prävention besteht in der Aufrechterhaltung eines Tag-Nacht-Rhythmus, Mobilisation und Physiotherapie, adäquater enteraler Ernährung, adäquater Schmerztherapie, Aufrechterhaltung der Oxygenierung und der Vermeidung psychotroper Medikamente. Die pharmakologische Delirtherapie basiert auf dem Einsatz von Antipsychotika und/oder atypischen Neuroleptika, Standards/Leitlinien existieren nicht.

Im Gegensatz zum Delir tritt die postoperative kognitive Dysfunktion POCD in aller Regel innerhalb von sieben Tagen postoperativ auf und ist in aller Regel vollständig reversibel. Risikofaktoren für das Auftreten einer POCD sind alle Substanzen, welche die kognitive Leistung modifizieren können (z. B. Opioide, Sedativa, Neuroleptika, Antidepressiva etc.). Neben Pharmaka gelten höheres Lebensalter, multiple Vorerkrankungen, bestehende kognitive Leistungseinschränkungen, niedriges Ausbildungsniveau sowie Depressionen und Alkohol-Abusus als weitere Risikofaktoren. Der Umfang des Eingriffs, die damit verbundene Anästhesiedauer sowie die Ausprägung des postoperativen Schmerzes ebenso wie Wundinfektion und Re-Eingriffe sind ebenfalls prädiktiv für das Auftreten einer POCD. Das Hauptproblem bei der Erfassung des postoperativen kognitiven Defizits liegt darin, dass objektivierbare neuropsychologische Messverfahren äußerst komplex und zeitaufwendig sind (derzeit stehen mehr als 350 verschiedene Verfahren zur Verfügung).

Darüber hinaus erfolgt keine präoperative Testung - es existiert also kein Ausgangswert. Ähnlich wie beim Delir könnte die POCD eine langfristige Bedeutung haben: Der Nachweis drei Monate nach dem Eingriff ging mit einer erhöhten Sterblichkeit in den folgenden acht Jahren einher. Dieser Befund bedarf jedoch der Bestätigung durch weitere Untersuchungen. Therapeutische Möglichkeiten zur Verhinderung oder Behandlung von POCD existieren bis dato nicht, wesentlich erscheint in diesem Zusammenhang das ärztliche Gespräch mit Patient und Angehörigen, dass sich die kognitiven Veränderungen im Regelfall zurückbilden.

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