Bauen, Einrichten & Versorgen

Erwachen aus dem Dornröschenschlaf - Die Beelitz-Heilstätten bei Berlin

19.07.2021 - Peter R. Pawlik und Irene Krause haben eine ­Architektur- und Medizingeschichte der Beelitz-Heilstätten bei Berlin vorgelegt.

Gestalterische ­Aspekte werden darin ebenso erläutert, wie die ­Logistik, die Technik und die sich wandelnde ­Nutzung des Areals über einen Zeitraum von 120 Jahren. Heute gibt es hier unter anderem ein Neurologisches Fachkrankenhaus, eine Akademie für Sozial- und Gesundheitsberufe, eine Arztpraxis sowie eine Pflege-Wohngruppe und Wohnungen. Nach und nach entsteht eine neue Stadt mit vielfältigen medizinischen, Wohn- und Freizeitnutzungen.

In seinem Beitrag für medAmbiente stellt Peter R. Pawlik die wechselvolle Geschichte des Hauses vor.  

Die Tuberkulose (TBC) ist in Deutschland aus der öffentlichen Wahrnehmung fast gänzlich verschwunden. Im 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts, bis zur erfolgreichen Anwendung von Antibiotika, hat diese Volkskrankheit noch viele Todesopfer gefordert. Zwischen den Jahren 1877 und 1886 wiesen die entsprechenden Statistiken in Deutschland im Durchschnitt 160.000 Tuberkulosetote jährlich aus. Die Krankheit war allgegenwärtig in der Gesellschaft und veranlasste wohl auch Thomas Mann, in seinem 1913 begonnenen und 1924 vollendeten Roman „Der Zauberberg“ die Leidensgeschichte von Hans Castorp aufzuschreiben, dem Sohn einer wohlhabenden Hamburger Kaufmannsfamilie, der, anfangs gesund, seinen tuberkulosekranken Cousin im Sanatorium Berghof im noblen Schweizer Kurort Davos für nur drei Wochen besuchen wollte, dann selbst erkrankte und ganze sieben Jahre dort verbrachte.

Mit dem Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter gab es seit 1883 grundsätzlich Anspruch auf Krankengeld, ärztliche Behandlung, Arzneimittel sowie Hilfsmittel wie auch Krankenhausbehandlung. In der Folge entstand ausgangs des 19. Jahrhunderts ein regelrechter Bauboom für Lungenheilstätten und Sanatorien in Deutschland. Der überwiegende Teil entstand um die Jahrhundertwende, so auch zwischen 1898 und 1902 die größte im Deutschen Kaiserreich, die Beelitz-Heilstätten (Architekten: Heino Schmieden und Julius Boethke). Weitere Bauabschnitte entstanden 1905-1907 und 1928-1930 (Architekt: Fritz Schulz).

Von Anfang an einzigartig
Die Planung der Beelitz-Heilstätten war in mehreren Hinsichten einzigartig. Die reine Größe der geplanten Anlage mit Aufnahme von bis zu 1.200 Patienten, ggf. sogar auf 1.800 erweiterbar im Endausbau, bedeutete ein Vielfaches des bisher in Deutschland Üblichen. Die meisten Einrichtungen lagen bisher bei einer Größenordnung von ca. 200 Patientenplätzen. Ungewöhnlich war auch, dass hier an einem Ort sowohl akutkranke Patienten in einer Heilstätte und „Kurpatienten“ in einem Sanatorium untergebracht werden sollten.

Es liegt wohl an der vorgefundenen Geländegeometrie, dass vier hermetisch voneinander getrennte Bereiche entwickelt wurden, zwei Lungenheilstätten nördlich der Berlin-Wetzlarer Bahnlinie und zwei Sanatoriums Anlagen südlich davon. Die Trennung nach Männern und Frauen erfolgte jeweils durch die Landstraße Potsdam-Beelitz. Die Gebäude waren ausgestattet mit mit modernsten Operations-, Untersuchungs- und Therapieeinrichtungen und waren bautechnisch auf dem neuesten Stand. Der Standort erwarb sich einen ausgezeichneten Ruf.

Die Anlage blickt auf eine sehr wechselvolle Geschichte zurück. Während der beiden Weltkriege dienten Teile als Lazarette. Mitten im Zweiten Weltkrieg wurde in den Jahren 1943–1944 südlich des Heilstättengeländes zusätzlich ein „Ausweichkrankenhaus“ als Ergänzung zu den bombengeschädigten Krankenhäusern im Großraum Potsdam/ Berlin gebaut (Architekt: Egon Eiermann). Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die sowjetische Besatzungsmacht das Gelände als Armee-Krankenhaus. Im ehemaligen Ausweichkrankenhaus etablierte sich die Deutsche Lungenklinik. Nach dem Auszug der Armee der Sowjetunion aus den Beelitz-Heilstätten in den Jahren 1991 bis 1994 veräußerte nach Rückübertragung die LVA Berlin die Anlage an den Investor um den Heidelberger Projektentwickler Roland Ernst.

Gründung der Recura Kliniken
Roland Ernst entwickelte das Konzept für einen Gesundheitspark und gründete die „Recura Kliniken GmbH“ (der Name Recura setzt sich zusammen aus den Initialen von Roland Ernst und dem lateinischen Wort Cura, zu Deutsch: Pflege). In dem erhaltenen Lungenpavillon für Männer wurde 1996 die Neurologische Rehabilitationsklinik inklusive des Brandenburgischen Zentrums für Querschnittgelähmte und im gleichen Jahr eine Akademie für Sozial- und Gesundheitsberufe eröffnet.

1998 folgte die Gründung eines Neurologischen Fachkrankenhauses für Bewegungsstörungen/Parkinson. Die Recura nutzt bis heute den ehemaligen Männerpavillon B III, der äußerlich weitgehend erhalten und denkmalgerecht saniert wurde. Lediglich im Norden ist ein eingeschossiger Eingangstrakt angebaut worden. Im Jahr 2008 erfolgte die Aufnahme des Fachkrankenhauses für neurologische Frührehabilitation der Kliniken Beelitz in den Krankenhausplan des Landes Brandenburg.

Neurologisches Fachkrankenhaus  
Das ehemalige „Ausweichkrankenhaus“ wird seit dem Jahr 2014 als Standort der Kliniken Beelitz geführt, die dort das Neurologische Fachkrankenhaus für Bewegungsstörungen/Parkinson betreibt. Neben der Klinik gibt es weitere Nutzer: Recura Service, die Akademie für Sozial- und Gesundheitsberufe, eine Arztpraxis, einen Friseursalon eine Pflege-Wohngruppe und Wohnungen.

Die ursprünglich im Jahr 1944 fertiggestellte Anlage ist in seinen wesentlichen Teilen bis heute, zumindest äußerlich annähernd unverändert erhalten. Die inneren Strukturen sind den heutigen Notwendigkeiten angepasst. Das architektonische Gesamtbild des denkmalgeschützten Ensembles wurde bewahrt.

Planung und Realität der Beelitz-Heilstätten
Die Vermarktung des riesigen Restgeländes durch die Beelitz Heilstätten scheiterte zunächst bis auf wenige Objekte, wohl letztlich wegen der schieren Größe und in Folge der Immobilienkrise in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. Die Gesellschaft musste 2001 Insolvenz anmelden. Der Insolvenzverwalter mühte sich um die Vermarktung, erzielte aber nur Teilerfolge. Wegen mangelnder Unterhaltung und Leerstand schritt der Verfall fort. Das Gelände entwickelte sich zum Treffpunkt für Abenteurer, nächtlichen Partytourismus, Vandalen und Materialdieben. Die Klatschspalten füllten sich mit Mord und Totschlag, Spuktourismus und anderen Geschichten. 2008 wurde das Restgelände erneut verkauft, wiederum erfolgte außer unrealistischen Planungen für Jahre nichts und der Verfall setzte sich fort.

Erst seit  2015 und 2017 wird das Gelände dank privater Initiativen Stück für Stück restauriert und neuen Nutzungen zugeführt. Nach einem genehmigten Bebauungsplan entsteht hier inzwischen vor den Toren von Berlin eine neue Stadt mit vielfältigen medizinischen, Wohn- und Freizeitnutzungen. In der ehemaligen Lungenheilstätte der Frauen existiert seit 2015 ein Freizeitpark mit einem Baumkronenpfad und einem Barfußpark.

So wandelt sich das Image der Beelitz-Heilstätten nun doch vom geheimnisvollen Militärgelände zum attraktiven Ort für Gesundheit, privilegiertes Wohnen, Arbeiten und Erholung im von Kiefernwald und pittoresken historischen Bauten geprägtem Ambiente. Trotz schmerzlicher Verluste eine gute, wenngleich längst überfällige Entwicklung.

Kontakt

Peter R. Pawlik

Spanische Allee 80
14129 Berlin-Nikolassee
Deutschland

030-8032003

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