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Aufstiege und Abstiege! Vom Segen der Treppe – und ihren Gefahren

22.07.2020 -

Auf Einladung der Freunde der Alten Oper in Frankfurt am Main fand im Oktober vergangenen Jahres eine Veranstaltung im Deutschen Architektur Museum, (DAM) zum Thema Musik und Architektur statt. Christoph Metzger, Open Mainded Projektentwicklung Frankfurt am Main/Dreieich hielt einen Vortrag zum Thema Neuroarchitektur, der kognitive und motorische Leistungen bei der Bewältigung von Treppen im Gelände und Gebäuden unter altersspezifischen Aspekten gewidmet war. Für medAmbiente hat der Autor seine Gedanken zusammengefasst.

Musik und Architektur wird als Thema meist mit Konzertsälen und Räumen der Musik assoziiert. Doch auch die innere Rhythmisierung gestaltbildender Elemente gibt jedem Gebäude einen ihm eigenen Verlauf, der als sensorische Qualität beschrieben werden kann. Wie jeder Raum durch seine Größe und Materialien eine unverwechselbare Resonanz hat, so ist auch jeder Architektur eine Gliederung eigen, die als Strecke und Raumfolge ausgebildet ist. Mensch und Raum stehen in einem Verhältnis, das durch Ortswechsel bestimmt wird. Erfolgreich Altern in urbanen wie ländlichen Regionen ist nachweislich von Ernährung, Gemeinschaft und Bewegung abhängig – und offensichtlich auch der Bewältigung von Treppen.

Komplexe Bewegungen sind es, die Kinder von klein auf lernen, um ihre Körper auf die Schwerkraft hin auszurichten. Haltepunkte bilden die Voraussetzungen dafür, den aufrechten Gang in früher Kindheit zu erlernen und im fortgeschrittenen Alter noch lange zu bewahren. Treppen sind jene Orte, die innerhalb des Gebäudes erinnerbare Gestalten entstehen lassen, räumliche Charaktere ausprägen und zur Begegnung einladen. Jeder Gang auf der Treppe verändert Position und Perspektive des Menschen und definiert seine Stellung zu Personen im Raum. Treppen und Stufen sind geradezu dafür prädestiniert, den Menschen zu erheben oder auf eine untere Ebene zu versetzen.

Treppen und Treppenhäuser können dazu motivieren, Etagen zu erkunden, um Stufe um Stufe, Ebene um Ebene zu erobern. Meist wird die Anstrengung mit einem wertvollen Ausblick belohnt, die gewonnene Erhöhung als Gipfelfest gefeiert, oder der Abstieg, in einen tieferliegenden Teil des Gebäudes, als mutige Erfahrung erlebt. Ob in privaten oder öffentlichen Räumen – jede Bewegung auf Treppen verändert die Perspektive. Form und Gestalt von Treppen, Rampen bis hin zum Fahrstuhl, erzeugen eine Dramaturgie, die seit alters her mit Bauwerken und Erschließungen öffentlicher Räume verbunden ist.

Zentrales architektonisches Element
Die Inszenierung von Treppen gewinnt in der Moderne eine oft plastische Qualität, wie etwa bei Le Corbusier, Immeuble 24, Rue Nungesser et Coli, Paris, (1934), Adaberto Libera, Casa Malaparte, Capri (1941) Frank Lloyd Wright, Guggenheim Museum, New York (1959) oder auch Herzog & de Meuron Elbphilharmonie, Hamburg (2018) wo Stufenfolgen zum zentralen architektonischen Element wurden, die sich oft auf antike Vorbilder beziehen. Treppen werden regelmäßig als charakteristisches Bestandteil des Hauses ausgebildet, die sie selbst als Objekte erscheinen lassen, wie etwa die gedrehte Rampe des Guggenheim Museums in New York, die dem Inneren eines Schneckenhauses nachgebildet zu sein scheint und gleichzeitig an die Galerie des Colosseums in Rom erinnert.

Die Elbphilharmonie wartet sogar mit einer ganzen Typologie von Treppen auf, die bereits den Besucher vom Außenbereich auf einer langen, flach verlaufenden Rolltreppe direkt ins Gebäude befördert. Zuvor jedoch nähert er sich jenem Panoramafenster in dunkler Rahmung an, dass jenes flussabwärts gerichteten Hafenbeckens aus erhabener Position zeigt. Im Inneren des Gebäudes präsentieren sich gerundete Erschließungen, die als breite Treppen mit Geländern ausgebildet sind und durch einen Band für Blinde, in Gestalt leichter Erhebungen auf dem in Backstein ausgebildeten Fußboden sicher den Weg weisen.

Sicherheit in Gebäuden ist ein Thema, das im Kontext der Überalterung des Klassikpublikums, das nach Auskunft des Kulturbarometers des Zentrums für Kulturforschung 2011 den wachsenden Anteil, der über 65-Jährigen mit über 55 % des Publikums mit steigender Tendenz ausweist. Der Anteil der Besuchergruppen zwischen 24 bis 49 Jahren nimmt während dessen konstant ab. Auf die Entwicklung müssen sich Planer und Bauherren einstellen, wollen sie ihrem Publikum auch in Zukunft sichere Orte für Kultur bieten. Gefahren in Gebäuden stellen besonders Treppen dar.

Stürze auch wegen architektonische Fehler
Aus Sicht von Musik und Architektur lohnt es sich, auf Formen der Rhythmisierung im Inneren des Gebäudes hinzuweisen. Wie Presseberichte zu mehrfachen Stürzen auf den Stufen der Elbphilharmonie deutlich gemacht haben, zeigen sich Fehler der Planung besonders dann, wenn ältere Menschen, die längere Zeit im Sitzen verbracht haben, erstaunlich häufig auf den Treppen stürzen. Schwere Stürze sind ein trauriger Beleg verschiedener Einflussfaktoren, die aus dem Status eingeschränkter kognitiver Verfassung, Motorik und Fehlern der Architektur resultieren und gleichzeitig auf ein Phänomen aufmerksam machen: Gehen auf Treppen zählt zu den anspruchsvollsten Herausforderungen der Bewegung, die einen siebenfach höheren Energieaufwand als Bewegungen in der Horizontale braucht.

Folgerichtig weist die Bauvorschrift zur DIN 18064 – 65, 4174 auf Regelmäßigkeiten hin, die beim Treppenbau zu beachten sind: „Bei Bemessung und Gestaltung von Treppen sind übergeordnete funktionale und gestalterische Zwecke der Treppe von großer Bedeutung. Nicht nur die Höhenüberwindung allein, sondern die Art der Höhenüberwindung ist wichtig.“ Bauformen und Gestalt sind abhängig vom Gebäudetypus und der Nutzung. Anzahl der Menschen im Haus bedingen Faktoren der Entleerungszeiten, die in Planungen zu Breite und Ausformung der Treppen einfließen. Angenommen werden dabei Anzahl der Menschen, Schrittmaß und Geschwindigkeit.

Wenn Menschen sich aus ihren Sitzen erheben, muss sich der Körper erst auf die neue Position einstellen. Ältere sind der Logik unbekannter Stufenfolgen ausgeliefert. Werden diese eben nun nicht mehr intuitiv erfasst, dann gerät der Körper schnell aus dem Gleichgewicht und dies führt zu Stürzen. Jüngere hingegen können Abweichungen meist besser korrigieren. Ältere Menschen in der Masse fühlen sich zudem schnell überfordert und folgen eher einem Herdentrieb, als dass einzelne Schritte mit Bedacht und Umsicht genommen werden.

Blickkontakt, Handlauf, Rhythmus
Auch ein fehlender Sichtkontakt zum Boden erschwert Älteren die Bewegung. Schneller stolpern sie und erleiden oft schwere Verletzungen. Die meisten Stürze ereignen sich nach den Konzerten. Seitens der Baunormen vorgeschriebenen Stufenlängen und Höhen sowie deren Ausformungen wurden bei den Treppen in der Elbphilharmonie offensichtlich nicht eingehalten. Stürze sind die Folge fehlenden Gleichgewichts, die alle Altersgruppen kennen und aus unvorhersehbaren Abweichungen von Oberflächen resultieren. Stolperfallen in freier Natur werden manchem Spaziergänger ebenso zum Verhängnis, wie fehlende Handläufe und schlecht rhythmisierte Treppen.

Von einer Stufe zur jeweils benachbarten Stufe darf die Abweichung der Ist-Maße untereinander nicht mehr als 5 mm betragen. Das Ist-Maß der Steigung der Antrittsstufe darf höchstens 5 mm vom Nennmaß abweichen. Den Maßstab der Stufen bildet ein gemittelter Wert, der im Laufe des Lebens erlernt und intuitiv vorausgesetzt wird. Treppauf -Treppab, der Rhythmus der Stufen kann zu längeren Strecken führen, die mit zunehmendem Alter immer wertvoller werden. Stufe und Handlauf verbinden sich zum idealen Ensemble, wenn es um das Erlernen und den Erhalt motorischer Kompetenzen geht. Mangel an Bewegung kann durch einladende Treppenräume begegnet werden, wenn bauliche Voraussetzungen Treppen als bedeutende Ereignisräume ins Zentrum architektonischer Planung stellen.

Im Alter auch ein Segen
Treppen erweisen sich für Menschen im Alter als Herausforderung und Segen. Ob auf Sizilien, wo im Ort Nuoro (554 m.ü.NN.) besonders viele Ältere leben und es einen Friedhof gibt, der nur den über Hundertjährigen vorbehalten ist, so liegt das überdurchschnittlich hohe Alter der Menschen auch an der Lage des Ortes. Nur jene bekommen frischen Fisch, die bereit sind hunderte von Stufen zu nehmen. Ähnliche Bedingungen guten Alterns findet man auf Ikaria, jener mythologisch umrankten Insel in der Ägäis, wo Dädalus, Sohn des Ikarus, auf seiner Flucht aus Kreta vor der Insel ins Meer stürzte und dort begraben sein soll.

Das Geheimnis alter Menschen auf der griechischen Insel Ikaria, oder in Nuoro steht im Zusammenhang vieler Treppen, denen dort auch symbolische Kraft zuerkannt wird. Auf Ikaria und in Nuoro ist der Anteil der über 90-Jährigen über zehnmal so hoch wie im europäischen Durchschnitt. Krankheiten wie Krebs, Herzinfarkte und auch altersbedingte kognitive Einschränkungen, die mit Demenz beschrieben werden, sind wesentlich seltener.

Christodoulos Stefanidis, Direktor der kardiologischen Abteilung im Athener Hippokrates-Hospital, glaubt die Langlebigkeit der Inselbewohner auf das Zusammenspiel zahlreicher Ursachen zurückführen zu können: „Viel Bewegung, wenig Stress, gesunde Ernährung und viel Sex. Der Kardiologe befragte auf Ikaria 284 Männer im Alter von 65 bis 99 Jahren. Acht von zehn gaben an, regelmäßig sexuell aktiv zu sein.“ (Gerd Höhler, Das Geheimnis von Ikaria: Ein langes Leben, Südwest Presse Online, Zugriff 13.2.2020. S.2.) Zudem scheint ein auffällig hoher Konsum des traditionell aufgebrühten Kaffees, „dem erholsamen Mittagsschläfchen und den durchschnittlich zwei Glas Rotwein, die sie abends gemeinsam genießen der Gesundheit förderlich zu sein.“

Ähnlich wie die komplexe akustische Planung der Elbphilharmonie eine kaum dagewesene Diskussion zur Bedeutung guter Konzertsäle und das Hören von Musik im 21. Jahrhundert prominent gefördert hat, so können auch die Fehler in der Planung der Treppen zum anschaulichen Lehrstück werden, an dem künftige Baumeister das Zusammenspiel von Musik und Architektur sowie einer inneren Metrik des Gebäudes reflektieren. Selten wurde hierzulande mehr über die Bedeutung sinnlicher Wirkungsformen in Gebäuden geschrieben als zum unvollendeten Meisterwerk von Herzog & de Meuron. Der wohlwollenden Hamburger Bürgerschaft sei für Ihr Engagement gedankt.

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