Gesundheitsökonomie

Chirurgische Eingriffe: Ambulant oder stationär?

24.11.2010 -

Die Zahl der ambulanten chirurgischen Eingriffe in Deutschland steigt stetig. Die Gründe hierfür liegen klar auf der Hand: Zum einen ergeben sich wichtige Vorteile für den Patienten, zum anderen ist das Einsparpotential teilweise enorm. Management & Krankenhaus spricht mit Prof. Dr. med. Hartwig Bauer, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, über die Bedeutung ambulanter Eingriffe.

M&K: Die Zahl der ambulanten Operationen nimmt immer mehr zu. Wie erklären Sie sich die Entwicklung?

Prof. Hartwig Bauer: Entscheidend ist sicher die hohe Attraktivität und zunehmende Akzeptanz dieser in der Praxis wie in der Klinik in hoher Qualität erbrachten chirurgischen Versorgungsform. Zunächst einmal kann der Patient die Nacht vor und nach dem Eingriff zu Hause im gewohnten Umfeld verbringen. Zudem gibt es Hinweise auf geringere Infektionsraten und postoperative Komplikationen bei ambulant erbrachten Operationen. Dabei bedarf es allerdings eines ringriff- und risikobezogenen Patientenvergleichs, um nicht zu Fehleinschätzungen zu kommen.

Immer wieder wird über das Einsparpotential von ambulanten Eingriffen berichtet. Sollte dieser Aspekt nicht sekundär sein?

Prof. Hartwig Bauer: Dass durch ambulante Eingriffe Kosten gespart werden können, steht außer Zweifel. Wie hoch das Einsparpotential aber tatsächlich ist, lässt sich nur schwer beziffern. Auch in der Studie von Prof. Oberender ergeben sich, je nach Ausgangslage, sehr voneinander abweichende Einsparungsszenarien. Einen jährlichen Einsparungseffekt im höheren dreistelligen Millionenbereich halte ich deshalb für fraglich. Denn die Umsetzung von stationär zu ambulant funktioniert nicht eins zu eins. Vielmehr müssen indikationsbezogen unterschiedliche Patientenstrukturen und Risikoprofile berücksichtigt werden. Die immer zu berücksichtigende Frage ist nicht, welche Operation kann ambulant durchgeführt werden, sondern welcher Patient ist für welche ambulante Operation geeignet.

Für Krankenhäuser ist es zudem wirtschaftlich attraktiver, Patienten eher stationär zu operieren.

Prof. Hartwig Bauer: Natürlich ist es für Krankenhäuser ökonomisch attraktiver, bestimmte Eingriffe stationär durchzuführen. Schließlich werden diese höher vergütet. Doch genau das ist das Kernproblem: Ein Krankenhaus ist auf Dauer schlecht beraten, wenn es aus Erlösgründen Operationen, die sehr gut ambulant durchgeführt werden könnten, weiterhin nur stationär anbietet. Bei der Entscheidung für oder dagegen sollte allein die Versorgungsqualität für den Patienten im Vordergrund stehen.

Und wann ist diese gewährleistet?

Prof. Hartwig Bauer: Wenn der Gesundheitszustand des Patienten einen ambulanten Eingriff zulässt. Dieses Kriterium steht an erster Stelle - und nicht, ob ein Eingriff an sich ambulant durchführbar ist. Liegen risikosteigernde Mehrfacherkrankungen vor, lebt der Patient allein oder ist er nicht selbstständig genug, sollte ein ambulanter Eingriff - natürlich abhängig von der Operationsindikation - nicht durchgeführt werden.

Damit sprechen Sie die ältere Generation an, die sich weiter vergrößern und für das Gesundheitssystem zu einer großen Aufgabe werden wird. Sind ambulante Eingriffe auch etwas für diese Altersgruppe?

Prof. Hartwig Bauer: Das ambulante Operieren ist keine Frage des Alters. Es geht immer um die Abschätzung des Gesamtrisikos. Gerade viele ältere Menschen legen großen Wert darauf, sich ambulant operieren zu lassen, um schnell wieder nach Hause in die gewohnte Umgebung zu kommen. Lässt es ihr Zustand und das private Umfeld zu, spricht also nichts dagegen. Die Risikoprofile älterer Patienten mit entsprechenden Begleiterkrankungen mit einer adäquaten Begründung für den stationären Eingriff finden Berücksichtigung in den sog. AEP-Kriterien (AEP = Appropriateness Evaluation Protocol). Diese gilt es richtig anzuwenden.

Der seit dem 1. Januar 2010 festgesetzte AOP-Vertrag hält u.a. fest, dass einheitliche Rahmenbedingungen bei niedergelassenen Ärzten und im Krankenhaus geschaffen werden sollen. Entspricht das der Realität?

Prof. Hartwig Bauer: Die Rahmenbedingungen sind immer noch sehr unterschiedlich. Die Vergütung der Vertragsärzte ist keineswegs kostendeckend, was sicher noch mehr für die Krankenhäuser gilt, wenn Sie ambulante Operationen nach § 115b SGB V anbieten. Diese müssen auch im Krankenhaus so ablaufen wie in der Praxis oder im MVZ, und dürfen nicht einfach in dem üblichen stationären Betrieb integriert bleiben. Dabei können Klinikärzte von ihren niedergelassenen Kollegen viel über die angemessenen Prozessabläufe lernen. Zu den Rahmenbedingungen gehört aber auch, dass es möglich sein muss, den Chirurgennachwuchs künftig für das ambulante Operieren ausreichend zu qualifizieren. Werden immer mehr bisher stationär durchgeführte Operationen in den ambulanten Bereich verlagert, fehlt an den Krankenhäusern dieses Eingriffsspektrum. Die Konsequenz ist, dass angehende Chirurgen nicht mehr richtig weitergebildet werden können. Es wird deshalb künftig eine der großen Herausforderungen sein, Chirurgen im Rahmen ihrer Weiterbildung gerade auch für das ambulante Operieren ausreichend zu qualifizieren.

Ein Wunsch, der aufgrund der derzeitigen Vergütung kaum zu verwirklichen ist. Wie könnte Ihrer Meinung nach eine Lösung aussehen?

Prof. Hartwig Bauer: Unter den derzeitigen Vergütungsformen lässt sich das Problem kaum lösen. Denkbar wäre, wie es schon diskutiert wurde, ein den DRG vergleichbares pauschaliertes Vergütungssystem auch für ambulante Operationen. Solche Kalkulationen müssten dann allerdings den realen Kostenaufwand, wie er in der Praxis entsteht, berücksichtigen. Diese Pauschalen müssten sicher deutlich höher sein als die bisherige Vergütung in der KV-Systematik, sie wären aber auch deutlich niedriger als vergleichbare DRGs im stationären Bereich. Mit Zuschlägen für die Investitionsfinanzierung müsste das bestehende Ungleichgewicht zwischen Praxis und Klinik ausgeglichen werden. Darüber hinaus brauchen wir adäquate Finanzierungsmodelle für die Weiterbildung. Für den vertragsärztlichen Bereich wäre ein Konzept vorstellbar, das mit der Pauschalförderung in der Allgemeinmedizin vergleichbar ist.

Wie könnten Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte künftig besser miteinander zusammenarbeiten, um das ambulante Operieren qualitativ weiter zu verbessern?

Prof. Hartwig Bauer: Es ist sicher nötig, Einrichtungen für das ambulante Operieren viel mehr gemeinsam zu nutzen. Das heißt, dass in OP-Kapazitäten der Krankenhäuser, die evtl. unzureichend ausgelastet sind, niedergelassene Chirurgen und Krankenhauschirurgen gemeinsam ambulant operieren, oder auch, dass angestellte Krankenhausärzte die Möglichkeit erhalten, in ambulanten Einrichtungen außerhalb der Klinik tätig zu sein. Gerade im Rahmen von MVZs ergeben sich hier vernünftige Kooperationsmodelle. Praxis und Klinik sind somit gleichermaßen gefordert.

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