IT & Kommunikation

Digitale Intelligenz in Anamnese und Diagnose

30.06.2020 -

Künstliche Intelligenz ist bedeutend für die Analyse großer Datenmengen entlang der Wertschöpfungskette im Gesundheitswesen.

Intelligente Maschinen sind ein alter Menschheitstraum. Maschinelle Lernverfahren haben sie uns in den letzten Jahren ein gutes Stück nähergebracht. Doch noch ist die menschliche Intelligenz unerreicht. Lernende Systeme finden in großen Datenmengen Strukturen, die wir ohne sie übersehen würden. Ihr Datenhunger ist allerdings auch eine Schwachstelle dieser Verfahren. Man kann sie eben nur dort einsetzen, wo genug aktuelle Daten im richtigen Format zur Verfügung stehen, um sie zu trainieren. Gesichert ist die Erkenntnis, dass menschliche Gehirne nicht dafür gebaut sind, mehr als 10.000 Krankheitsbilder und über 12.000 Symptome zu speichern und diese mit einer konkreten Patientensituation abgleichen zu können. Es kann auch nicht das täglich neu hinzukommende Wissen in der Medizin aufnehmen, verarbeiten und im ärztlichen Alltag anwenden. Es kann auch nicht die zukünftig aufkommende Datenflut rund um das Individuum in angemessener Form zusammendenken und für eine personalisierte Prävention nutzen. Schon jeder einzelne dieser drei Teilaspekte ist eine Überforderung des menschlichen Gehirns.

Bisher wurde der Überforderung begegnet, indem die Medizin in unterschiedliche Fachdisziplinen aufgespaltet wurde, sodass die Komplexität der Aufgabe noch halbwegs zu den Möglichkeiten menschlichen Denkens passt. Doch gleichzeitig generiert diese mehr oder weniger willkürliche Aufteilung der Medizin neue Probleme. Genom-Sequenzierung, Präzisionsmedizin und personalisierte Prävention werden die Komplexität endgültig in die Höhe treiben, die nur noch mit maschineller Unterstützung, mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz (KI) zu bewältigen ist. Ein anderes Problem ist die Undurchsichtigkeit des Lernprozesses: Das System liefert Ergebnisse, aber keine Begründungen dafür. Dies ist problematisch, wenn Algorithmen etwa darüber entscheiden, ob jemand Krebs hat oder nicht. Zudem benutzen KI-Verfahren die Daten der Vergangenheit, um Modelle zu bilden, mit denen sie neue Daten klassifizieren – und neigen so dazu, bestehende Strukturen zu konservieren oder zu verstärken.

Welche Intelligenz hat Vorrang?

Menschen und Tiere stellen mit ihren Fähigkeiten die Vorbilder für intelligente Maschinen. Umgekehrt benutzt die Kognitionsforschung intelligente Maschinen, um zu testen, ob ihre Annahmen über die menschliche Intelligenz richtig sind. Dabei hat die KI-Forschung in den letzten sechzig Jahren auch gezeigt, wie wenig wir noch immer darüber wissen, wie die menschliche Intelligenz funktioniert. Ein Kind betrachtet ein oder zwei Bilder eines Elefanten und kann diesen dann im Zoo, auf Fotos und als Stofftier erkennen. Ein Lernsystem benötigt tausende Elefantenbilder, um in die Nähe dieser Leistung zu kommen. Offenbar gibt es dort einen gravierenden aber bis heute nicht verstandenen Unterschied. Nur auf die Größe künstlicher neuronaler Netze zu schauen und diese mit dem Gehirn zu vergleichen, ist daher nicht sehr aussagkräftig.

Es fehlt zum einen die Verknüpfungsstruktur und zum anderen all das, was natürliche Kognition auch ausmacht: Einflüsse von Hormonen auf das Gehirn, den Körper, die Umwelt. Kritiker erwähnen die These, dass Intelligenz nur in biologischen Systemen, in Menschen und Tieren, entstehen könne, nicht auf der Basis von Siliziumchips. Sie ist bislang weder bestätigt noch wiederlegt. Tatsächlich stellen die „intelligent“ genannten künstlichen Systeme den Menschen in immer mehr Bereichen in den Schatten. Doch sie können nicht von einer Aufgabe zu einer anderen wechseln, und man kann sie auch nicht einfach zusammenschalten, um eine Superintelligenz zu bekommen. In seiner Flexibilität ist der Mensch bislang ungeschlagen. Forscher nehmen immer mehr Faktoren in den Blick, die es zu berücksichtigen gilt, will man die menschliche Intelligenz verstehen. 4E-Cognition heißt ein wachsender Forschungszweig, der die verkörperte (embodied), eingebettete (embedded), ausgedehnte (extended) und aktive (enactive) Natur der Intelligenz berücksichtigt und noch andere Aspekte mehr.

Neurologisch binär?

Durch die massive Zunahme von Daten und Rechenleistung konnten die Fähigkeiten Künstlicher Intelligenz in den letzten Jahren soweit ausgebaut werden, dass Computer mittlerweile in der Lage sind, genauso zu lernen wie Menschen. KI ist als Megatrend zu verstehen, der Machine Learning Technologien wie Artificial General Intelligence (AGI), Deep Learning mit Hilfe künstlicher neuronaler Netze und Deep Reinforcement Learning sowie Cognitive Computing als Simulation menschliche Denkprozesse in einem Computermodell zusammenfasst. Der bedeutsame Fortschritt der KI ermöglicht Computern menschliche Aufgaben zu übernehmen und manuelle Prozesse zu automatisieren (Robotic Process Automation). Dennoch ist der Vergleich von Gehirn und Computer gar nicht so einfach. Natürlich, der Computer steuert Maschinen, so wie das Gehirn den Organismus. Im Gehirn wie im Computer werden Wahrnehmungen ausgewertet und Aktivitäten geplant und gesteuert.

Im Speicher des Computers werden Daten verwahrt, im Gedächtnis Erinnerungen gespeichert. Die Neuronen des Gehirns kommunizieren über elektrische Signale: sie feuern oder feuern nicht. Dies lässt sich mit den Schaltkreisen des Computers vergleichen: Durch seine Transistoren fließt entweder Strom oder nicht. Sieht man genauer hin, erweist sich die Analogie von Gehirn und Computer allerdings als sehr grob: Im Gehirn gibt es keinen zentralen Taktgeber; die Prozesse werden nicht nacheinander abgearbeitet, wie in einem herkömmlichen seriellen Rechner; Daten werden nicht zwischen Arbeitsspeicher und Prozessor hin- und hergeschaufelt; das Gehirn kennt keine fertigen Programme und keinen Unterschied zwischen Hardware, Software und Daten. Neuronen sind viel komplizierter als Transistoren, sie sprechen z. B. neben „Elektrisch“ auch „Chemisch“, werden also etwa von den Hormonen beeinflusst. Das Gehirn ist deutlich fehlertoleranter als der Computer, und während Superrechner so viel Energie verbrauchen wie eine Kleinstadt, reicht für den Betrieb des Gehirns ein Butterbrot.

Die so genannten neuromorphen Computer kommen der Arbeitsweise des Gehirns zwar näher, aber auch sie reichen an seine Komplexität nicht heran. Je besser Forscher das Gehirn verstehen, desto klarer wird, wie sehr der Vergleich von Gehirn und Computer hinkt. Wenn heute Forscher Gehirn und Computer vergleichen, zielen sie auf eine mittlere Abstraktionsebene. Es geht also nicht darum, Neuron für Neuron nachzubauen, es geht um die Prinzipien der Intelligenz, um Regeln, die „plattformneutral“ realisiert werden können, sei es aus Neuronen, Siliziumchips oder leeren Blechdosen. Für Systeme, die der Flexibilität der menschlichen Intelligenz näherkommen, werden die Forscher sich vermutlich wieder mehr am Menschen orientieren müssen. Wissenschaftler füttern dabei große Datensätze in einen Computer, von denen man ganz genau weiß, was darauf abgebildet ist – etwa zehntausende Aufnahmen von Hautkrebs. Dieser versucht dann anhand dieses Trainings und mithilfe künstlicher neuronaler Ebenen, neue, bislang unbekannte Bilder einzuordnen und zu erkennen, was sich darauf befindet. Dieses Vorgehen kann man schon heute erfolgreich in medizinisch relevanten Fällen umsetzen.

So hat ein Team aus Heidelberg ein selbstlernendes Computerprogramm entwickelt, das Hautkrebs erkennt – und zwar besser als Ärzte es vermögen. Es ist allerdings auch problematisch, wenn der Mensch nicht mehr versteht, wie ein neuronales Netzwerk überhaupt zu einem bestimmten Schluss gekommen ist. Nehmen wir einmal an: Ein Netz glaubt, auf einer Mammografie Brustkrebs auszumachen, was die beteiligten Ärzte aber nicht erkennen. Sollen die Ärzte ihm vertrauen, wenn sie überhaupt nicht wissen, wie es zu seinen Schlüssen gelangt ist? Trotz aller positiven wie negativen Aussichten bleibt die Erkenntnis, dass eine Maschine niemals das Vertrauen, die Zuversicht und die Hoffnung vermittelt, die ein empathischer Arzt einem Patienten entgegenbringen kann.

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