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Im Rhythmus des Lichts - Zum Abschluss des Forschungsprojekts „Silverlighting“

08.11.2019 -

Das Projekt Silverlighting ist ein vom Bundes­ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ­gefördertes Verbundprojekt. Konzept und Koordination stammen von Licht Raum Stadt Planung;  beteiligt waren das Sozialwerk St. Georg Nieder-rhein, Fraunhofer Umsicht sowie die Hochschule Ruhr West. Gegenstand und Ziel des gerade abgeschlossenen Projekts war die Verbesserung der Befindlichkeiten und der Lebensqualität von älteren, an Demenz erkrankten Menschen durch den ­Einsatz einer circadianen Beleuchtung – insbesondere deren Wirkung auf den Schlaf-Wach-Rhythmus. medAmbiente sprach darüber mit Birgit ­Bierbaum, Dipl. Ing. (FH) Architektur, M.A. Architectural Lighting Design and Design Management sowie mit Matthias Boeser, Dipl. Ing. (FH) Licht- und ­Elektrotechnik, Projektleitung.

Frau Bierbaum, das Projekt „Silverlighting“ ist gerade abgeschlossen worden. Was war der Anlass für diese Untersuchung?

Birgit Bierbaum: Die demographische Entwicklung und die damit einhergehende Zunahme an Demenzerkrankungen ist eine Herausforderung für die Gesellschaft in ethischer und sozialökonomischer Sicht, aber zunächst privat und familiär für jeden Einzelnen, der mit der Krankheit konfrontiert wird. Demenziell veränderte Menschen zeigen neben dem graduell zunehmenden Verlust kognitiver Fähigkeiten bestimmte Symptomatiken – insbesondere die Destabilisierung oder sogar Umkehrung des Schlaf-Wach-Rhythmus.

Matthias Boeser: Eine wichtige Zielsetzung war es, den Verbleib in der eigenen Häuslichkeit zu verlängern. Das System wurde zunächst in einer betreuten Wohngruppe erprobt, weiterentwickelt und anschließend in privaten Haushalten eingesetzt. Der unstetige Nachtschlaf, die Unruhe und der damit verbundene Leidensdruck pflegender Angehöriger zählen zu den am häufigsten genannten Gründen für die Entscheidung, ein an Demenz leidendes Familienmitglied in einem Pflegeheim unterzubringen. Verbesserung hinsichtlich der Nachtruhe kann also für den Betroffenen und die Pflegenden unterstützend wirken.

...und hier spielen Licht und Lichtregie eine wichtige Rolle?

Birgit Bierbaum: Das Prinzip der „circadianen“ Beleuchtung, welche durch gezielte Steuerung von Lichtintensität und Licht-
farbe bzw. Spektrum die „innere Uhr“ und den Tagesablauf synchronisiert, wurde in klinischen Studien umfassend untersucht. Jedoch bestand Unsicherheit, ob und wie weit die Wirkungsmechanismen bei demenziell erkrankten Menschen greifen – und der Bedarf nach Anwendungsstudien ist grundsätzlich vorhanden. Insbesondere für den mobilen, autarken Einsatz in häuslichen Wohnumgebungen gab es zum Beginn des Projekts noch keine fertig am Markt verfügbaren Beleuchtungssysteme. Im Bereich Evaluierung gab es zwar bereits bekannte Standardtestmethoden (wie z.B. MMST, NPI und QUALIDEM), aber es fehlten elektronische Hilfsmittel um diese im Pflegealltag effizient durchzuführen. Potential wurde sowohl in Hinsicht auf eine nicht-medikamentöse Intervention zur Verbesserung der Lebensqualität demenziell Erkrankter bzw. pflegender Angehöriger gesehen, als auch in Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter in der Pflege.

Über die Wirkung und die Rolle die circadiane Beleuchtung spielen kann, wird schon lange geforscht – worum ging es Ihnen hier speziell?  

Matthias Boeser: Wichtige Aspekte waren die Praxistauglichkeit, Anwenderfreundlichkeit, sowie das Thema des Einbindens des Systems in eine bestehende Anlage, sowohl in der stationären Anwendung als auch in Form einer ambulanten, autarken Einheit. Entsprechende Beleuchtungs- und Steuerungselemente müssen für unterschiedliche Umgebungen, örtliche Bedingungen und technische Voraussetzungen adaptierbar sein. Aus Sicht des Anwenders sollten Installation, Einrichtung und Betrieb durch das betreuende Personal erfolgen können, wobei diese Anforderung bei ambulantem Einsatz einen Konflikt zur Komplexität einer profunden, circadianen Lichtplanung darstellt.

Wie sahen das Design und der Ablauf der Studie aus?

Birgit Bierbaum: In einer ersten von zwei Phasen wurde über einen Zeitraum von 17 Monaten in zwei Wohngruppen mit jeweils sieben Klientinnen und Klienten die Wirkung circadianer Beleuchtung auf Menschen mit demenziellen Erkrankungen evaluiert. Dazu wurden in beiden Wohngruppen alle genutzten Bereiche, also gemeinschaftlich genutzte Bereiche, Flure, aber auch alle privaten Bereiche, Schlafzimmer und Bäder mit circadianen Beleuchtungssystemen ausgestattet. Die Beleuchtungssysteme wurden nach den Planungsempfehlungen der DIN SPEC 67600 und in DIN SPEC 5031-100 dargestellten Grundlagen melanopischer Lichtwirkung, d. h. Licht welches auf das Schlafhormon Melatonin wirkt, sowie nach aktuellem Erkenntnisstand von Forschung und Wissenschaft geplant und dimensioniert. Entsprechend der Altersstruktur der Teilnehmer wurde bei der Dimensionierung der Einfluss altersbedingter Veränderungen des Sehapparates berücksichtigt. Nach Errichtung und Inbetriebnahme wurde die Anlage messtechnisch auf Einhaltung dieser Bewertungsgrößen überprüft. Aus den in Phase 1 gewonnen Erfahrungen wurden parallel die Anforderungen an Systeme zur Anwendung in häuslichen Umgebungen erarbeitet und Prototypen von Leuchten und Steuerungssystemen entwickelt.

...was geschah in der zweiten Phase?

Matthias Boeser: In Phase 2 wurden circadiane Beleuchtungssysteme in ambulante Strukturen adaptiert und die Anwendung für die eigene Häuslichkeit erprobt. Die Akquise der Teilnehmer erfolgte über die Netzwerkarbeit des Anwendungspartners, dem Sozialwerk St. Georg Niederrhein, unter anderem in einer Selbsthilfegruppe von früherkrankten Menschen. Eine Umsetzung erfolgte mit Leuchten und Steuerungssystemen, die auf Grundlage der Ergebnisse aus Phase 1 bedarfsgerecht angepasst worden waren. Dabei wurden die Evaluierungsinstrumente in der 2. Phase an die veränderte Situation angepasst.

Sie haben die Wirkungen des Einsatzes circadianer Beleuchtung nach bestimmten Aspekten differenziert: Schlafqualität, Aktivitätsbereitschaft, Befinden, Verstetigung des Tagesablaufs, Kompensation von Wahrnehmungsdefiziten und Medikamentengaben. Eine deutliche und gut dokumentierbare, wiederholbare Kennziffer dürfte letzteres sein – zu welchen Ergebnissen sind Sie hier gekommen?

Birgit Bierbaum: In der Praxis erwies sich die Auswertung der Medikamentengabe als zu komplex aufgrund der vielfältigen Zusammenhänge und Auswirkungen zwischen Dauer- und Bedarfsmedikation. Die vorhandenen Daten waren nur eingeschränkt reproduzierbar bzw. einzelne Daten waren für eine weitere Auswertung nicht präzise genug und ein medizinischer Partner fehlte im Konsortium. Somit konnte die zu Beginn der Studie erhoffte Aussage über Auswirkungen auf die Medikamentengabe nicht gewonnen werden. Das Projekt unterlag der Handlungsphilosophie der „Ethik der Achtsamkeit“ und dem Grundsatz der „Compliance“ sowie strikten Datenschutzrichtlinien. Diese ethisch begründeten Regeln schlossen medizinische Erhebungen wie Blutabnahme und Speicheltests zur Bestimmung von Hormonspiegeln aus.

Wie sieht es bei den anderen Aspekten aus – wo gab es besonders signifikante Ergebnisse?

Birgit Bierbaum: Die statistische Auswertung der Aufzeichnungen und Datenerhebungen zeigt eine Reduzierung des nächtlichen Aufstehens, eine Verbesserung der Schlafqualität, Verstetigung der Zeiten zu denen die Klientinnen und Klienten abends ihr Zimmer aufgesucht haben sowie eine signifikante Reduzierung der Standardabweichung dieser Zeiten. Die Auswertung der Standard-Erhebungen zu Befindlichkeit und Lebensqualität zeigt positive Veränderungen in den Dimensionen „Positiver Affekt“ und „Ruheloses angespanntes Verhalten“. Die statistischen Auswertungen zeigen für diese Parameter Effektstärken, mit denen bei größeren Stichproben die Effekte auch statistisch signifikant geworden wären.

Matthias Boeser: Zum Einfluss auf Wohlbefinden und Lebensqualität der Klienten zeigen die Beurteilungen durch Mitarbeiter und Angehörige ein deutlich positives Bild, welches die statistischen Ergebnisse der Durchschnittswerte einzelner Evaluierungsinstrumente bestätigt. Die Auswertung der Befragungen von Angehörigen und Mitarbeitern zeigen eine hohe Akzeptanz der Beleuchtungssysteme, Gesamteindruck und Gestaltung der Beleuchtungsanlagen werden ebenfalls positiv beurteilt. Der Anwendungspartner Sozialwerk St. Georg Niederrhein beurteilt den Einsatz circadianer Beleuchtung abschließend als empfehlenswertes Assistenzsystem in der Milieugestaltung für zukünftige Neuplanungen bzw. Umgestaltungen von ambulanten und stationären Wohnumgebungen.

Wo liegen bezüglich dieser Wirkungen eigentlich die Unterschiede zwischen demenzerkrankten Menschen und älteren und alten Menschen die nicht von Demenz betroffen sind?

Birgit Bierbaum: Für Menschen mit Demenz ist die Milieugestaltung einschließlich der Beleuchtung unabhängig von einer circadianen Wirksamkeit von besonderer Bedeutung, da sie helfen kann die Auswirkungen kognitiver Wahrnehmungsdefizite abzumildern bzw. auszugleichen.

Demenziell erkrankte Personen reagieren besonders sensibel auf Blendung durch Kunst- bzw. Tageslicht, da diese die Orientierungsfähigkeit empfindlich stören, zu vorzeitiger Ermüdung und sogar zu Aggressivität führen kann. Auch Reflexionen sowie Schlagschatten und Farbflächen auf Fußböden können zu Fehlinterpretationen führen und somit Unsicherheit und Unwohlsein erzeugen.

Bettlägerige Menschen und Bewohner von Pflegeheimen haben häufig deutlich weniger Tageslichtexposition – verglichen zu anderen Menschen.

Matthias Boeser: Die Lebensqualität und das Wohlbefinden kann mit circadianem Kunstlicht verbessert werden. Tageslicht kann aber keinesfalls vollständig durch Kunstlicht in Hinsicht auf Quantität und Qualität ersetzt werden. Für alle Menschen, insbesondere auch für kranke und ältere Menschen, gilt die Empfehlung, sich mindestens eine halbe Stunde am Tag draußen bei natürlichem Tageslicht aufzuhalten.

Unabhängig von einer Erkrankung, fördert eine gute Beleuchtung ganz allgemein eine „Alternativwahrnehmung“ entsprechend des „2 Sinne Prinzips“. D.h. mindestens zwei der drei Sinne Sehen, Hören und Tasten/Fühlen sollen angesprochen werden, um gegebenenfalls vorhandene sensorische Defizite zu kompensieren und ist somit allgemein wichtig für ältere und alte Menschen, nicht nur bei eingeschränktem Sehvermögen.

Gab es echte Überraschungen?

Birgit Bierbaum: Die Veränderung des Gesamteindrucks der Räumlichkeiten durch die neue Beleuchtung, sowohl im stationären als auch im ambulanten, häuslichen Bereich war bemerkenswert. Das höhere Beleuchtungsniveau morgens, das angepasste, gedimmte und als wärmer empfundene Licht Abends sowie das gleichmäßig verteilte direkte Licht mit hohem Indirektanteil hat die Gestaltung der Wohnumgebungen deutlich zum Positiven verändert. Die Resonanz insbesondere der Angehörigen und Pflegenden war entsprechend sehr positiv.

Der hohe Qualitätsgewinn überzeugte den Anwendungspartner derart, sodass das Sozialwerk St. Georg beim Neubau einer weiteren betreuten Wohnanlage im Zeitraum des Projektes, ebenfalls circadiane Beleuchtung zum Einsatz brachte.

Sie haben ein Best-Practice-Gesamtsystem entwickelt. Wie sieht das genau aus?

Matthias Boeser: Das für häusliche Umgebungen als beste Lösung bewertete System besteht aus einer Stehleuchte mit einem autarken Steuerungsmodul, welches sich auf unkomplizierte Weise in bestehende Umgebungen einfügen lässt. Dieses muss allerdings entsprechend der Gegebenheiten konfiguriert werden. Das heißt es wurde ein Werkzeug entwickelt, dessen Anwendung jedoch jeweils geprüft und angepasst werden muss. Als Gesamtsystem kann es also nicht als einfaches „plug-and-play“ Element betrachtet werden, sondern erfordert die Expertise eines Fachplaners, da Planung, Konfiguration und Wartung beinhaltet sein müssen. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass die allgemeinen Anforderungen an Beleuchtung für Gesundheits- und Pflegebereiche vielfältig sind und Kriterien der visuellen Barrierefreiheit und für Arbeitsumgebungen (Pflegende, Ärzte, Raumpfleger) erfüllen müssen, aber auch Wohnlichkeit und Privatsphäre vermitteln sollen. Damit ein circadianes Beleuchtungssystem optimal auf die Nutzer abgestimmt ist, müssen sowohl die äußeren (Architektur, Ausrichtung des Gebäudes, Bedingungen des natürlichen Tageslichtes, etc.), die inneren (Raumgestaltung, Farben, Materialien, etc.) als auch die individuellen Rahmenbedingungen (Alter, Sehvermögen bzw. Erkrankungen des Sehapparates oder andere gesundheitlich besondere Bedingungen, Nutzungsart, Nutzungsdauer, etc.) analysiert und aufeinander abgestimmt werden.

Nun gibt es ja einige Hersteller am Markt, die schon lange circadiane Lichtlösungen anbieten – insbesondere für Pflegeheime, wo sie auch schon eingesetzt werden. Halten diese Lösungen Ihren Untersuchungen stand – oder müssten sie anders konzipiert oder eingesetzt werden?

Birgit Bierbaum: Zwar bieten verschiedene Hersteller Leuchten mit einer Steuerung weißer LEDs unterschiedlicher Farbtemperaturen an, welche eine Einstellung warm, bzw. kalt-weißen Lichtes ermöglichen, aber nur sehr wenige Hersteller vermessen diese spektral und geben Kennwerte der circadianen bzw. melanopischen Wirksamkeit der spezifischen Lichtquellen an. Die Hersteller, die Leuchten und Planungslösungen als „Komplettpaket“ anbieten, dimensionieren die jeweilige Anlage oft nicht vollständig nach allen in den Planungsrichtlinien geforderten Rahmenbedingungen, da der Aufwand einer solchen ganzheitlichen Planung groß ist und die Investition einer umfänglich dimensionierten Anlage für den Betreiber nicht unerheblich ist.

Matthias Boeser: Unabhängige fachliche Begleitung, welche nicht nur eine fachgerechte Dimensionierung vornimmt, sondern auch die Implementierung und Parametrierung und eine abschließende Überprüfung durchführt, sehen wir als unerlässlich. Die Interessen und Kompetenzen von Herstellern, Planern technischer Gebäudeausrüstung und Installationsbetrieben greifen in der Praxis nicht ausreichend zusammen, um am Ende die Realisierung einer Anlage zu gewährleisten, die die erhoffte Wirkung tatsächlich erbringt. Dieser Mehraufwand sollte dabei als Investition zur Verbesserung der Versorgungsqualität für Klienten mit einer Demenz betrachtet werden. In Anbetracht der positiven Ergebnisse dieser und parallel durchgeführter, anderer Anwendungsstudien erscheinen die Investitionen ein sinnvoll eingesetztes Mittel zur Verbesserung der Lebensqualität. Eine Verstetigung des Tagesrhythmus und Beruhigung der nächtlichen Schlafphasen führt zu einer Entlastung des ohnehin stark geforderten Pflegepersonals und schafft einen Lebensort und eine Arbeitsstätte, die auch in Zukunft attraktiv bleiben kann.

Weitere Projektinformationen: www.silverlighting.de

Kontakt

Licht Raum Stadt GmbH

Richard-Wagner-Straße 7
42115 Wuppertal

+49 202 695160

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