Aus den Kliniken

Krankheitskeim mit vielen Folgen

19.12.2022 - Was die Entdeckung eines Bakteriums vor 40 Jahren für die heutige Medizin bedeutet

Durch die Coronapandemie sind in der zurückliegenden Zeit viele andere wichtige Gesundheitsthemen in den Hintergrund geraten. Damit wurde vielfach auch die Prävention von chronischen Krankheiten vernachlässigt. Ein Bakterium, das Verursacher vieler Beschwerden bis hin zu schweren Krankheiten sein kann, ist Helicobacter pylori. Seine Entdeckung liegt genau 40 Jahre zurück. Welche Bedeutung sie für die heutige Medizin hat, erläuterte Dr. Joachim Stock, Leitender Gastroenterologe im Eberswalder GLG Werner Forßmann Klinikum, im folgenden Interview.

M&K: Die Entdeckung eines Bakteriums – Helicobacter pylori, in der Medizin kurz H. pylori genannt – feiert Jubiläum. Was ist das Besondere an diesem Erreger?

Dr. Joachim Stock: Tatsächlich ist es bereits 40 Jahre her, dass H. pylori „entdeckt“ wurde. Die beiden Entdecker, der Pathologe Robin Warren und der Mikrobiologe Barry Marshall, beschäftigten sich bereits eine ganze Weile mit dem Keim. 1982 konnte der Keim angezüchtet werden. Die Ergebnisse der Forschungen wurden allerdings nicht wahrgenommen. Erst der Selbstversuch von Barry Marshall 1983, bei dem er selbst eine H. pylori-Bakteriensuspension trank und dann eine schwere Gastritis erlitt, brachte den Durchbruch in der Wahrnehmung, dass hier tatsächlich eine wesentliche  Forschungsleistung vorlag. H. pylori ist ein Bakterium, das sich auf die eigentlich komplett lebensfeindliche saure Umgebung im Magen eingerichtet hat und somit dort überlebt. Der Keim produziert Toxine, die verantwortlich sind für eine chronische Gastritis, für die Ulcuserkrankung im Magen und Duodenum, dann aber auch für das Magenkarzinom und auch für das Magenlymphom.
Die heute breit in der Therapie der Magen- und Zwölffingerdarmerkrankungen eingesetzten Protonenpumpenhemmer (PPI) kamen Ende der 1980er Jahre auf den Markt. Wenig später wurde mit der Entdeckung von H. pylori gezeigt, dass Magengeschwüre und die Magenschleimhautentzündung durch eine antibiotische Eradikation des Keimes geheilt werden können – das sind gleich zwei Meilensteine in der Gastroenterologie!

Bis dahin gab es kaum eine wirklich gute Behandlung der Gastritis, also der Magenschleimhautentzündung, und der Ulcuserkrankung, des Magengeschwürs. Komplikationen der Ulcuserkrankung mussten fast immer chirurgisch-operativ behandelt werden. Wie ist das heute?

Stock: Die Chirurgie ist zum Glück praktisch nur noch bei der Ulcusperforation notwendig. Ansonsten kann in fast allen Fällen ein Magengeschwür mit Medikamenten behandelt werden, im Falle einer H. pylori-Infektion mit einer antibiotischen Beseitigung des Bakteriums. Daher ist der Nobelpreis 2005, den sich die beiden Forscher dann teilten, mehr als gerechtfertigt! Interessanterweise steht H. pylori aber auch mit Erkrankungen in Verbindung, die primär nichts mit dem Magen zu tun haben: die idiopathische thromozytopenische Purpura (ITP), die Eisenmangelanämie, der Vitamin B12-Mangel, die IgA-Vaskulitis, und auch bei der Migräne scheint ein Zusammenhang zu bestehen. H. pylori findet man weltweit, allerdings in unterschiedlichen Prävalenzen. In Europa ist die Prävalenz eher niedrig, aber auch hier gibt es
regionale Unterschiede. Für Deutschland wird eine Prävalenz von ca. 35 % angegeben. Auch die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankung (DGVS), die Fachgesellschaft der Gastroenterologen, hat das 40jährige Jubiläum zum Anlass genommen, die Leitlinie „Helicobacter pylori und gastroduodenale Ulcuserkrankung“ zu aktualisieren.

Woran erkennt man, dass man mit H. pylori infiziert ist?

Stock: Eine Infektion mit H. pylori kann sehr vielgestaltig verlaufen. Sie kann komplett symptomlos sein oder aber mit den sogenannten dyspeptischen Beschwerden einhergehen, wie Völlegefühl, Übelkeit, Oberbauchdruck oder -schmerz, Aufstoßen, Mundgeruch. Das Problem ist, dass diese Symptome recht unspezifisch sind, da sie auch in anderen Situationen auftreten, d.h. es wird unterschieden zwischen einer „H. pylori induzierten Dyspepsie“ und einer „H. pylori negativen funktionellen Dyspepsie“, sprich: dem „Reizmagen“. Wenn dyspeptische Beschwerden längere Zeit bestehen, sollte eine Testung auf H. pylori durchgeführt werden.
Auch hier gibt es wieder verschiedene Möglichkeiten: Es kann eine invasive Testung in Form einer Magenspiegelung erfolgen mit der Biopsieentnahme aus mehreren Abschnitten des Magens. Der histologische Nachweis der Bakterien zusammen mit einer chronischen Gastritis oder der Nachweis eines Ulcus beweist die Infektion. Nicht-invasiv kann die Infektion aber auch mittels Atem- oder Stuhltest nachgewiesen werden. Da alle Testverfahren auch Schwächen haben, sollten möglichst immer zwei verschiedene Verfahren zum Einsatz kommen.

Wann wird die Magenspiegelung als primäre Diagnostik empfohlen?

Stock: Sie wird favorisiert, wenn starke Beschwerden bestehen, das Alter über 50 Jahre ist, und vor allem wenn sogenannte Risikofaktoren wie Gewichtsverlust und eine Anämie vorliegen. Mittels der Spiegelung kann eine schwerwiegende Erkrankung wie ein Ulcus oder sogar eine maligne Erkrankung diagnostiziert werden. In allen anderen Fällen reicht eine nichtinvasive Testung aus. Wenn sich allerdings nach einer Behandlung des H. pylori nach nichtinvasiver Testung die Symptome im Verlauf eines halben Jahres nicht zurückbilden oder wieder auftreten, muss eine Spiegelung erfolgen, um auch dann wieder schwerwiegende Erkrankungen nicht zu übersehen.

Wer führt eine Magenspiegelung durch?

Stock: Die ambulante Magenspiegelung ist primär in den Händen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Doch kann auch am GLG Werner Forßmann Klinikum in der Medizinischen Klinik I eine Spiegelung ambulant erfolgen. Voraussetzung dafür ist eine Überweisung von einem niedergelassenen Gastroenterologen. Eine Terminabsprache in einem solchen Fall ist über die Telefonnummer 03334/69-2381 (Endoskopie) möglich.

Warum ist die Magenspiegelung keine allgemeine Vorsorgeuntersuchung?

Stock: 1994 stufte die WHO die H. pylori-Infektion als karzinogen ein. Das heißt, das Risiko, an einem Magenkarzinom zu erkranken, ist durch eine Infektion mit H. pylori deutlich erhöht! Generell ist die Häufigkeit des Magenkarzinoms in Deutschland im internationalen Vergleich niedrig bis intermediär. Die sinkende Häufigkeit des Magenkarzinoms in der westlichen Welt hängt mit der sinkenden H. pylori-Prävalenz durch die Eradikationsbehandlungen der letzten Jahrzehnte zusammen. Eine allgemeine Vorsorgeuntersuchung muss hinsichtlich der Kosten-Nutzen-Bewertung beweisen, dass durch die Maßnahme relevant viele Erkrankungen verhindert werden. Dies war bislang nicht gezeigt worden, zumindest nicht für die Magenspiegelung. Durch die heutzutage einsetzbaren verlässlichen kostengünstigen nichtinvasiven H. pylori-Tests auf der einen Seite und die auf der anderen Seite meist recht fortgeschrittenen Erkrankungsstadien des Magenkarzinoms bei Erstdiagnose mit entsprechend aufwändiger und teurer Therapie verschiebt sich diese Relation jedoch zunehmend. Daher gibt es vermehrt Studien, die einen Nutzen für eine „H. pylori Screen & Treat“-Strategie darlegen und dies auch für Länder wie Deutschland. Eine Vorsorge-Magenspiegelung ist derzeit einfach nicht kosteneffektiv, für die nicht-invasiven Tests scheint sich dies jedoch anders darzustellen, sodass z.B. im Rahmen einer Vorsorge-Darmspiegelung eine H. pylori-Testung mit angeboten werden könnte.

Was tun, wenn das Bakterium im Magen identifiziert wurde?

Stock: Im Gegensatz zu früheren Leitlinen wird der H. pylori-Befall inzwischen eindeutig als Infektionskrankheit eingestuft. Damit ergibt sich auch immer die Indikation, bei Nachweis des Keimes eine Behandlung durchzuführen. Da es sich um eine bakterielle Infektion handelt, erfolgt eine Antibiotikatherapie (Eradikation) mit mehreren Wirkstoffen in Kombination mit einem Protonenpumpeninhibitor – ein Medikament, das die Säureausschüttung im Magen hemmt. Problematisch ist die zunehmende Resistenz des Krankheitskeimes auf manche Antibiotika, sodass frühere Therapieschemata heutzutage nicht mehr effektiv sind. Momentan wird eine Bismuth-haltige Quadrupeltherapie über mindestens zehn Tage empfohlen. Nach der Eradikation sollte eine Erfolgstestung durchgeführt werden.

Ist man dann für immer von dem Bakterium befreit oder kann es wiederkommen – und wenn ja
wodurch?

Stock: Ein Wiederauftreten von H. pylori nach einer Behandlung ist durchaus möglich, entweder weil die Therapie nicht effektiv war oder weil tatsächlich eine neue Infektion erfolgte. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist erfreulicherweise gering, die jährlichen Rezidivraten bewegen sich in Europa zwischen 1 – 3 Prozent. Die H. pylori-Infektion ist generell mit Hygienestandards verknüpft, die Übertragung erfolgt von Mensch zu Mensch. Eine Übertragung durch Trinkwasser, Abwasser, Lebensmittel oder Tiere ist möglich, jedoch in den westlichen Industrieländern zu vernachlässigen.

Wie lautet also ihr Fazit beim Blick auf das Entdeckungsjubiläum des Bakteriums?

Stock: Die Entdeckung des H. pylori vor 40 Jahren war ein Meilenstein in der Gastroenterologie. Dyspeptische Beschwerden können auf eine Infektion mit H. pylori hinweisen, eine Testung sollte großzügig erfolgen. Bei zusätzlichen Alarmsymptomen ist eine Magenspiegelung notwendig. Wenn H. pylori nachgewiesen wird, ist eine Therapie mit Antibiotika angezeigt. Die erfolgreiche Behandlung der Infektion stellt eine wirksame Prävention dar auch für schwerwiegende Erkrankungen des Magens wie das Magenkarzinom.

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