Universitätsmedizin Göttingen gründet neues Zentrum für seltene Hörstörungen
28.11.2024 - Das Zentrum für seltene Hörstörungen bildet ab dem 25. November 2024 einen weiteren Schwerpunkt im Zentrum für Seltene Erkrankungen Göttingen (ZSEG) der Universitätsmedizin Göttingen (UMG).
In dem neuen Zentrum arbeiten verschiedene Einrichtungen der UMG auf den Gebieten der Diagnostik, Erforschung und Behandlung von seltenen Erkrankungen des Hörens fachübergreifend zusammen. Ziel ist es, neue Behandlungs- und Forschungsinfrastrukturen für Hörstörungen innerhalb der UMG zu etablieren und die Versorgung betroffener Patient*innen zu verbessern.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) betreffen seltene Hörstörungen, zu denen auch genetisch bedingte Formen der Schwerhörigkeit gehören, weltweit Millionen von Menschen, für die es jedoch oft keine klaren Diagnose- und Behandlungswege gibt. Aufgrund der Seltenheit und Komplexität dieser Erkrankungen stehen die Betroffenen vor zahlreichen Herausforderungen, wenn es darum geht, genaue Diagnosen und maßgeschneiderte Therapien zu erhalten.
Ab sofort bietet die Universitätsmedizin Göttingen (UMG) mit einem neu eingerichteten Zentrum für seltene Hörstörungen eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene an. Im Hintergrund steht eine umfassende medizinische Expertise: So arbeiten in dem neuen Zentrum Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen aus über zehn verschiedenen Kliniken, Instituten und Einrichtungen auf den Gebieten der Diagnostik, Erforschung und Behandlung von seltenen Erkrankungen des Hörens fachübergreifend zusammen. Ziel ist es, neue Behandlungs- und Forschungsinfrastrukturen für diese Krankheitsbilder an der UMG zu etablieren und die Versorgung betroffener Patient*innen regional und bundesweit zu verbessern. Das Zentrum für seltene Hörstörungen ist ein weiterer Schwerpunkt und das elfte Spezialzentrum im Zentrum für Seltene Erkrankungen Göttingen (ZSEG) der UMG.
„Seltene Hörstörungen lassen Betroffene und ihre Familien oft isoliert und ohne Perspektiven zurück. Wir sind begeistert von den Möglichkeiten, die das Zentrum für seltene Hörstörungen unseren Patientinnen und Patienten bieten wird“, sagt Prof. Dr. Nicola Strenzke, Sprecherin des Zentrums für seltene Hörstörungen sowie Ärztliche Leitung der Audiologie der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der UMG und Leiterin der Arbeitsgruppe Auditorische Systemphysiologie am Institut für auditorische Neurowissenschaften der UMG.
„Seltene Hörstörungen erfordern eine fachübergreifende Expertise“, sagt Prof. Dirk Beutner, Mitglied der Zentrumsleitung und Direktor der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde der UMG. „Unser Zentrum wird eine entscheidende Lücke schließen, indem es den Patientinnen und Patienten mit Hörstörungen einen direkten Weg zu einer präzisen Diagnose bietet. Wir ermöglichen den Betroffenen durch unsere Forschung den Zugang zu neuen Therapien, die ihre Lebensqualität positiv beeinflussen werden.“
„Wir freuen uns, das ZSEG um dieses neue Spezialzentrum zu erweitern. Die enge Zusammenarbeit mit Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen anderer Kliniken ist eine ideale Voraussetzung, um eine optimale Versorgung von Patientinnen und Patienten auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse zu ermöglichen“, sagt Prof. Dr. Bernd Wollnik, Mitglied der Zentrumsleitung, Direktor des Instituts für Humangenetik und Vorstandsmitglied des ZSEG der UMG.
Hörverlust ist oft genetisch bedingt
Unter Schwerhörigkeit leiden schon die Kleinsten: So wird bei etwa ein bis zwei von 1.000 Neugeborenen pro Jahr in Deutschland ein Hörverlust diagnostiziert. Die Wahrscheinlichkeit einen Hörverlust zu erleiden, nimmt im Laufe des Lebens zu und kann auf eine Vielzahl von Ursachen zurückgeführt werden – viele davon sind genetisch bedingt. Derzeit sind mehr als 150 Taubheitsgene bekannt. Hinzu kommen viele weitere genetische Erkrankungen, bei denen auch andere Organsysteme betroffen sind. Jede genetische Form wird als eigene seltene Krankheit eingestuft. Das bedeutet, dass Schwerhörigkeit zwar insgesamt häufig vorkommt, aber Hunderte von molekular unterschiedlichen seltenen Erkrankungen umfasst. Jüngste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass viele der Gene, die einen frühen Hörverlust verursachen, auch mit altersbedingten Formen in Verbindung gebracht werden können. Die Erforschung von früh und spät einsetzender Schwerhörigkeit auf genetischer und molekularer Ebene ist ein wichtiger Bereich der Forschung an der UMG.
Im neuen Zentrum arbeiten verschiedene UMG-Einrichtungen fachübergreifend zusammen. So können Entdeckungen beschleunigt werden, die letztendlich zu wirksamen Therapien führen könnten. Ein Beispiel für die fachübergreifende Zusammenarbeit ist die Audiogenetik-Sprechstunde, die gemeinsam von der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und dem Institut für Humangenetik angeboten wird. Auch die besondere Göttinger Expertise bezüglich der molekularen und zellulären Mechanismen von Schwerhörigkeit, welche am Institut für Auditorische Neurowissenschaften erforscht werden, fließen hier ein. Um individuelle Krankheitsmechanismen zu verstehen, wird neben einer umfassenden Untersuchung der Hörfunktion anhand einer Blutprobe eine molekulargenetische Diagnose erstellt. Diese hat viele Vorteile für die Behandlung. So kann zum Beispiel eine fundierte genetische Beratung über die genaue Ursache des Hörverlusts aufklären und einschätzen, welchen Verlauf die Erkrankung und gegebenenfalls die damit verbundenen Begleiterkrankungen haben werden. Auch die Frage, ob die Erkrankung an eigene Kinder vererbt werden kann, ist für viele Betroffene ein relevantes Thema.
Derzeit ist es nicht möglich, bei jeder*jedem Patient*in eine molekulargenetische Diagnose zu stellen, da noch nicht alle Gene und genetischen Veränderungen bekannt sind, die zu einer Schwerhörigkeit führen. Für nicht-diagnostizierte Patient*innen werden im neuen Zentrum regelmäßig Forschungsmöglichkeiten für genetische Analysen angeboten, um unter anderem auch in diesem Bereich Fortschritte zu erzielen und diesen Patient*innen Möglichkeiten für eine passende Therapie zu eröffnen. „Die Genetik spielt eine entscheidende Rolle bei der Aufklärung von Krankheitsmechanismen und bei der Forschung und ermöglicht gleichzeitig die Klassifikation von Patientinnen und Patienten für zukünftige personalisierte Medizinansätze,“ sagt Priv.-Doz. Dr. Barbara Vona, Arbeitsgruppenleiterin im Institut für Humangenetik und im Institut für Auditorische Neurowissenschaften sowie maßgeblich an der Einrichtung des neuen Zentrums beteiligt.
Studien zur Wiederherstellung des Hörvermögens
Das Zentrum für seltene Hörstörungen unterstützt darüber hinaus künftig bei weiterführenden klinischen Studien. Eine der vielversprechenden Studien fokussiert sich beispielsweise auf die Wiederherstellung des Hörens für Menschen mit schweren bis hochgradigen Hörstörungen. Ziel der Studie unter Leitung von Prof. Dr. Tobias Moser, Mitglied der Zentrumsleitung und Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften der UMG, ist es, eine Gentherapie mit einem optischen Cochlea-Implantat zu kombinieren. Diese neue Technologie verwendet Licht zur Stimulation des Hörnervs, welches ein verbessertes Hörerlebnis gegenüber klassischen Cochlea-Implantaten erlaubt. „Das Zentrum für seltene Hörstörungen wird als Sprungbrett für die Durchführung klinischer Studien dienen, die den Umgang mit Hörverlust revolutionieren könnten“, so Prof. Moser. „Wir möchten die Tür zu bahnbrechenden Therapien öffnen, die Patientinnen und Patienten die Chance geben werden, ihr Gehör wiederzuerlangen und ungehindert am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.“
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