Zielkonflikte zwischen Hygiene und Nachhaltigkeit
01.05.2025 - Innovative Ansätze ermöglichen Vereinbarkeit von Patientensicherheit und nachhaltiger Versorgung in Krankenhäusern.
Das deutsche Gesundheitswesen soll bis zum Jahr 2030 klimaneutral sein, so hat es der 125. Deutsche Ärztetag (2021) gefordert. Für Krankenhäuser, als große Verbraucher von Energie, Wasser und Materialien, steigt damit der Druck. Folglich dominieren Ansätze zum Klimaschutz und zur Nachhaltigkeit zunehmend auch den Krankenhausalltag. Die Herausforderung, höchste Hygienestandards sicherzustellen und gleichzeitig eine nachhaltige Versorgung anbieten zu können, suggeriert zunächst einen Zielkonflikt. So wird die Hygiene oft als Verhinderer von Nachhaltigkeitsprojekten angesehen. Diese Erkenntnis wurde auch im Abschlussbericht „Ressourcenschonung im Gesundheitsbericht“ festgestellt.
Um diesem Eindruck entgegenzuwirken, wurden bereits diverse Beiträge von Krankenhaushygienikern verfasst sowie Forschungsprojekte initiiert. Die Grundaussage hierin ist: Patienten- und Personalsicherheit muss durch hygienische Aspekte sichergestellt werden. Strenge Hygieneprotokolle, der Einsatz von Desinfektionsmitteln und die Einhaltung von Sterilisationsverfahren sind demnach unerlässlich, um die Gesundheit der Patienten und des Personals zu schützen. Diese Maßnahmen sind jedoch oft mit einem hohen Verbrauch von Ressourcen und Chemikalien verbunden, der die Umweltbelastung erhöht.
Best Practice: „Universal Gloving“
Gleichzeitig haben sich im praktischen Alltag Arbeitsweisen etabliert, die aus Sicht der Krankenhaushygiene unbegründet sind, aber selten hinterfragt werden. Ein Beispiel dafür ist die übermäßige Verwendung von medizinischen Einmalhandschuhen in vielen Bereichen der Pflege und Medizin wie etwa beim Impfen. Experten sprechen vom „Universellen Tragen“ oder „Universal Gloving“ medizinischer Einmalhandschuhe, wenn Mitarbeitende Handschuhe auch ohne eine konkrete Indikation tragen. Dabei kann die Einhaltung der Indikationen für Handschuhe ein erhebliches Einsparpotential bringen. Einige Kliniken haben ihre Handschuhverbräuche bereits veröffentlicht und konnten davon berichten, dass die Anzahl der Handschuhe jährlich um 3% oder mehr reduziert werden könnte. Die Nachhaltigkeitsaspekte liegen dabei wortwörtlich auf der Hand. Aber auch aus Sicht der Krankenhaushygiene stellt „Universal Gloving“ ein Problem dar, weil aus einem falschen Sicherheitsgefühl heraus die Händedesinfektion vernachlässigt wird. Daher hat die Kommission für Infektionsprävention in medizinischen Einrichtungen und in Einrichtungen und Unternehmen der Pflege und Eingliederungshilfe (KRINKO) 2024 einen Kommentar zum indikationsgerechten Einsatz medizinischer Einmalhandschuhe veröffentlicht.
Auch die Nachtabschaltung der Raumlufttechnischen Anlage (RLT) im Operationsbereich zeigt, dass es bereits praktikable und sichere Lösungsansätze auf dem Weg zum nachhaltigen Krankenhaus gibt. Dieser Vorschlag wurde bereits von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Krankenhaus-Hygiene (DGKH) als Good Practice-Beispiel empfohlen.
Beide Themenfelder setzen jedoch intensive Schulungsmaßnahmen der Mitarbeiter sowie interne Audits durch die krankenhaushygienische Abteilung voraus.
Wischtücher und Flächendesinfektion in den Blick nehmen
In anderen Bereichen ist wiederum die Industrie gefragt. So hat sich seit einigen Jahren die Verwendung von vorgetränkten Einmal-Wischtüchern bspw. zur Flächendesinfektion oder zur Grundpflege der Patienten etabliert. Die Hersteller stellen bereits ihre Produkte so um, dass eine anschließende Verwertung bzw. Verrottung in der Abfallwirtschaft möglich ist. Die Wahl der Desinfektionsmittel und Reinigungsmethoden spielt auch darüber hinaus eine große Rolle. Während herkömmliche Produkte oft effektiver gegen Keime sind, können sie schädliche Chemikalien enthalten, die sowohl die Umwelt als auch die Gesundheit der Mitarbeiter beeinträchtigen. Umgekehrt können umweltfreundliche Alternativen in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt sein, was potenziell das Risiko von Infektionen erhöht.
Der Klimawandel verlangt nach einem Umdenken und unser aller Bereitschaft, neue Wege zu gehen, wobei die Patientensicherheit immer an erster Stelle stehen sollte. Durch innovative Lösungen und einen interdisziplinären Ansatz können Krankenhäuser eine Balance finden, die beiden Zielen gerecht wird und somit einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigeren Zukunft leisten. Dazu gibt es bereits spannende Ansätze, über die wir uns austauschen und von denen wir lernen sollten, um Doppelarbeit zu vermeiden – und unsere Ressourcen zu schonen.
Vernetzung aller Akteure zur Stärkung der Nachhaltigkeit
Diesen Ansatz verfolgt das Land Niedersachsen seit Februar 2024 mit dem Niedersächsischen Aktionsforum Gesundheit und Klima, das im Auftrag des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung gegründet wurde und vom Niedersächsischen Landesgesundheitsamt (NLGA) koordiniert wird. Ziel ist es, Akteure des Gesundheitswesens auf Landesebene zu vernetzen und Synergien zu identifizieren. Die Arbeitsgruppe für stationäre Versorgung hat deswegen eine kurze Abfrage unter den niedersächsischen Krankenhäusern erarbeitet, um Best Practice-Beispiele in Bezug auf Klimaanpassung und Nachhaltigkeit sichtbar zu machen und um denjenigen Einrichtungen Impulse zu geben, die noch nicht so weit sind. Weitere Informationen gibt es unter klima@nlga.niedersachsen.de.
Autoren: Dr. Patrick Ziech und Marisa Alpers, Niedersächsisches Landesgesundheitsamt, Hannover
Befragung des Niedersächsischen Landesgesundheitsamts
Zeigen Sie, was Ihr Krankenhaus im Bereich Klimaanpassung und Gesundheitsschutz bereits heute schon leistet!
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Nehmen Sie bis Ende Juli 2025 an unserer Befragung teil.
