Gesundheitsökonomie

Evolution statt Revolution

Finanzierung im Gesundheitswesen

24.03.2010 -

Ein „Big Bang" zur Lösung der bekannten gesundheitspolitischen Probleme durch die neue Bundesregierung ist auch nach dem Koalitionsvertrag von Union und FDP zunächst nicht zu erwarten. Denn bislang bleibt die Antwort auf die grundlegende Frage der nachhaltigen Finanzierung unseres Gesundheitssystems weiter offen. Angesichts des drastischen Kostendrucks, des medizinisch-technischen Fortschritts, einer steigenden Lebenserwartung und stagnierenden Geburtenraten keine leichte Aufgabe für den neuen Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler (FDP). Nun soll es eine Expertenkommission der Bundesregierung richten. Der Bundesverband Managed Care (BMC) lieferte auf seiner Fachtagung „Künftige Anforderungen an Finanzierung und Vergütung im Gesundheitswesen" schon einen kleinen Vorgeschmack auf mögliche Szenarien.

„Um es vorweg zu nehmen. Einen Königsweg gibt es nicht", zog gleich zu Beginn der Veranstaltung Prof. Dr. Dr. Bert Rürup, AWD-Chefvolkswirt, jenen den Zahn, die vom ehemaligen Vorsitzenden des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eine Blaupause für die nächste Gesundheitsreform erwarteten. Gesundheitspolitik vollzöge sich vielmehr in „kleinen Schritten". Auch dieses Mal sei nicht davon auszugehen, so Rürup, dass der neuen Bundesregierung ein grundlegender Umbau des GKV-Systems gelänge.

Für Rürup löst der Gesundheitsfonds als „ordnungspolitisches Neutrum" weder Probleme, noch ändere seine Abschaffung etwas an dem langfristigen Kostendruck. „Steigende Gesundheitsausgaben als Folge der Präferenzänderung einer alternden Gesellschaft sind per se kein ökonomisches Problem. Erst wenn Ineffizienzen und fehlender Wettbewerb wachstums- und beschäftigungsfeindliche Signale setzen, entstehen die bekannten Defizite." Der ehemalige Wirtschaftsweise warnte davor, den Anteil der Steuerfinanzierung im Gesundheitswesen derart zu erhöhen, dass die zukünftige medizinische Versorgungsmenge durch das Finanzministerium bestimmt werde.

Rürup brach eine Lanze für die Gesundheitspolitik der letzten Jahre. Seit 2003 mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz „zarte Elemente des Wettbewerbsgedankens" gesetzt wurden, habe sich vieles zum Besseren gekehrt und benötigte lediglich weiterer Unterstützung, damit die Segmentierung des GKV-Systems überwunden werden könne. „Neben der Überwindung der sektoralen Budgetierung steht die einheitliche Leistungshonorierung auf der Tagesordnung. Gleiche Leistung, gleiches Honorar, unabhängig davon ob erbracht im Krankenhaus, im MVZ oder in der Praxis", forderte der Ökonom.
Ordnungspolitisch sieht Rürup in der Einführung einer allgemeinen Versicherungspflicht die Möglichkeit einer zukunftsfähigen Finanzierung des Gesundheitswesens - unabhängig davon ob privatwirtschaftlich oder öffentlich organisiert. Außerdem müsse dringend die mangelhafte Qualitätsmessung der medizinischen Versorgung verbessert werden. Hier befinde sich Deutschland im „Stadium eines Entwicklungslandes", sowohl was die Erhebung als auch die Auswertung der vorhandenen Datenbasis betreffe.

Das Fazit des Volkswirts: Deutschland habe im internationalen Vergleich immer noch eines der leistungsfähigsten Gesundheitssysteme - nach Ausgaben pro Kopf gerechnet sogar nur das zehntteuerste - mit den kürzesten Wartezeiten bei Operationen und den geringsten Zugangsbarrieren für medizinische Leistungen. Dennoch sieht der AWD-Chefvolkswirt die Notwendigkeit einer zukünftig stärkeren privaten Finanzierung.

Der Frage „Was ist eine generationengerechte Gesundheitsversorgung?", ging Dr. Christian Hagist, Institut für VWL & Finanzwissenschaft, Universität Freiburg nach. Für ihn stellt sich die grundlegende Problematik der GKV als „fehlende Nachhaltigkeit der Finanzierung aufgrund des demografischen Wandels und des technischen Fortschritts" dar. Grund: die Baby-Boomer-Generation. Sie würde zwischen den Jahren 2030 und 2050 drastische Verwerfungen in den Sozialversicherungen auslösen. Konsequenz: Der Altersquotient werde sich bis zum Jahr 2050 beinahe verdoppeln, während die Gesamtbevölkerung bis 2050 (bei gleichbleibender Fertilitätsquote von 1,4) voraussichtlich um über sechs Millionen Menschen sinken werde, so Hagist. Die unter der Leitung von Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, Universität Freiburg, erarbeitete „Freiburger Agenda" schlägt zur Lösung der „Nachhaltigkeitslücke" einen Drei-Punkte-Katalog vor:

  • selektives Kontrahieren zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern,
  • Einführung der Kostenerstattung und eines absoluten (relativen) Selbstbehalts von 800-1000 € p.a. im ambulanten Bereich,
  • vollständige Ausgliederung bestimmter Leistungen, bspw. der Zahnmedizin.

Damit wäre nach Hagist eine Gesundheitsversorgung möglich, „ohne die Solidarität bei den großen Lebensrisiken aufzukündigen".
Das GKV-Sanierungsmodell von Prof. Dr. Volker Ulrich, Universität Bayreuth, und Prof. Eberhard Wille, Universität Mannheim, steht für einen „fairen Wettbewerb mit gleichen Spießen" für GKV und PKV", sprich: Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung. In seinen Vorschlägen plädierte Ulrich für eine umlagefinanzierte sowie kapitalgedeckte Grundversicherung des Krankheitsrisikos mit kapitalgedeckter Voll- oder Zusatzversicherung.

Konsens bestand bei allen Experten der Fachtagung: einen Königsweg zur Lösung des bestehenden Finanzierungsdefizits in der GKV wird es nicht geben. Vielmehr komme es auf den richtigen Mix aus steuer-, beitrags- und privatfinanzierter Absicherung von Gesundheitsrisiken an.

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