Medizin & Technik

Europäischer Erfahrungsaustausch - Vorteile antibiotikahaltiger Knochenzemente als Infektionsprophylaxe in der Endoprothetik

27.02.2013 -

Europäischer Erfahrungsaustausch - Vorteile antibiotikahaltiger Knochenzemente als Infektionsprophylaxe in der Endoprothetik. Der Ersatz von geschädigten Hüft- oder Kniegelenken durch ein künstliches, zementiertes Gelenk und der damit verbundene Mobilitätsgewinn für den Patienten werden als eine der bedeutsamsten medizinischen Errungenschaften gesehen.
Die Einführung antibiotikahaltiger Knochenzemente Anfang der 70er-Jahre hat den medizinischen Fortschritt in der Endoprothetik entscheidend beschleunigt.
Auf einem internationalen Symposium in Maastricht tauschten europäische Experten ihre landesspezifischen Erfahrungen mit wirkstoffhaltigen Knochenzementen aus.
Die Anwendung von Knochenzementen mit Antibiotika stellt eine klinisch belegte Möglichkeit dar, Infektionen präventiv entgegenzuwirken.
In den skandinavischen Ländern existieren seit Jahrzehnten ausführlich dokumentierte Register, wie z.B. das schwedische und das norwegische Hüftregister.
Die Auswertungen dieser Dokumentationen belegen eindeutig, dass antibiotikahaltige Knochenzemente eine effektive Prophylaxe gegen septische Komplikationen in der Gelenkchirurgie darstellen, was sich wiederum auf die Standzeiten der Endoprothesen auswirkt.
Für einen antibakteriellen Effekt sind hohe Antibiotikakonzentrationen am Gefahrenherd, dem Ort der Implantation, nötig.
Der Vorteil von antibiotikahaltigen Knochenzementen ist die lokale Wirkstoffabgabe und somit ein hoher Wirkstoffspiegel im Implantationsgebiet.
Durch die anfänglich hohen und in den Folgetagen abnehmenden Freisetzungsraten des Antibiotikums aus dem Knochenzement wird ein effektiver Schutz des Implantats vor Infektionen ermöglicht.
Bei lokaler Applikation ist die systemische Belastung des Patienten eher gering, da die Wirkstoffkonzentration im Serum oder Urin nur wenig ansteigt und somit nicht die toxischen Nebenwirkungen verursacht, die bei einer systemischen Antibiotikagabe auftreten können.
Während durch systemische Antibiotikagaben nur beschränkt hohe Wirkstoffspiegel am Ort der Implantation zu erreichen sind, kann durch eine gezielte, örtliche Anwendung von Antibiotika eine sehr hohe Wirkstoffkonzentration am Implantationsort erreicht werden, ohne den gesamten Organismus zu belasten.
Hohe systemische Antibiotikagaben können aufgrund der oft vorhandenen Toxizität des Antibiotikums zu unerwünschten Nebenwirkungen führen, die bei lokalen Anwendungen nicht auftreten.
Bei der lokalen Applikation von Antibiotika dient der Knochenzement – neben seiner Hauptfunktion als Fixateur für Prothesen – als Trägermatrix. Die am Implantationsort freigesetzte Menge der aktiven Substanzen muss deutlich über der minimalen Hemmkonzentration für das Bakterienwachstum (MIC) und über der minimalen Letalkonzentration, der sog. minimalen bakteriziden Konzentration (MBC), für die jeweils vorkommenden Erreger liegen.
Die Wahl des in der Endoprothetik eingesetzten Antibiotikums hängt entscheidend von der Fähigkeit ab, alle auftretenden Erreger abzutöten, wobei hier überwiegend gram-positive Erreger relevant sind.
Aus diesem Grund sind neben einem breiten Wirkspektrum des ausgewählten Antibiotikums auch die bakteriziden Eigenschaften wichtig. Antibiotika mit ausschließlich bakteriostatischer Wirkweise sind für diesen Einsatz nicht geeignet.
Die Freisetzung der aktiven Substanzen aus der Knochenzementmatrix hängt einerseits von der Größe und der Beschaffenheit der Zementoberfläche als auch andererseits von den hydrophilen Eigenschaften des Knochenzementes ab.
Da hydrophile Polymere den Diffusionsprozess der Antibiotika beschleunigen, wird so die Freisetzung des Antibiotikums aus der Zementmatrix verbessert. Ein weiteres Auswahlkriterium für das passende Antibiotikum in Knochenzementen ist die Wärmebeständigkeit, da während der Aushärtung die Temperatur des Knochenzements ansteigt, und Antibiotika inaktiviert werden können.
Außerdem muss das Antibiotikum sterilisationsfähig sein, d.h. es darf bei einer Sterilisation mit Ethylenoxidgas keine Reaktion des Antibiotikums mit dem Ethylenoxid stattfinden, die die Wirksamkeit des Antibiotikums schwächt.
Das gleiche gilt für eine Sterilisation mit radioaktiver Strahlung. Die Lagerstabilität des Antibiotikums ist ein weiteres Kriterium für die Auswahl, da antibiotikumhaltige Knochenzemente eine Haltbarkeit von mehreren Jahren aufweisen müssen.
Anhand zahlreicher Studien mit Knochenzementen und verschiedenen zugesetzten Wirkstoffen hat sich gezeigt, dass Gentamicin das Antibiotikum der Wahl darstellt und dank seines breiten Wirkspektrums effektiv Erreger bekämpft, die bei postoperativen Infektionen auftreten.
Während in vielen europäischen Ländern, wie z.B. den Niederlanden, die besten Erfahrungen zur Infektionsprophylaxe mit gekühltem hochviskösen Palacos R+G gemacht wurden, werden in einigen anderen europäischen Ländern erst bei Revisionen antibiotikahaltige Knochenzemente eingesetzt. Bei Revisionsoperationen ist das Infektionsrisiko generell höher als bei Erstimplantationen.
Zur Behandlung septischer Lockerungen wird Copal – ein lokal antiinfektiös wirksamer Zement mit den beiden Antibiotika Gentamicin und Clindamycin – eingesetzt. Die beiden Antibiotika haben einen synergistischen bakteriziden Effekt auf mehr als 90% der Bakterien, die bei Infektionen innerhalb der Gelenkchirurgie vorkommen. Die mechanischen Eigenschaften des Zements bleiben dabei unverändert gut.
In jedem Fall sind industriell gefertigte und mit Antibiotika versetzte Knochenzemente manuellen Antibiotikabeimischungen vorzuziehen, da die Zugabe von Antibiotika die Verarbeitungseigenschaften und auch die mechanischen Eigenschaften des Zements verändert.
Inhomogene Zumischungen können die mechanischen Eigenschaften des Zements und damit die Langzeitstabilität des Implantats drastisch verschlechtern. Auch über die Freisetzungsraten können wegen der veränderten Freisetzungseigenschaften nur schwer Aussagen getroffen werden.
Die vermehrt auftretende Problematik der Resistenz klinikrelevanter Keime wie Staph. Aureus fordert zum gezielten und restriktiven Einsatz der Antibiotikatherapie nach klinischer Testung auf.
Der Einsatz weiterer, neuer Antibiotika scheint indiziert zur Lösung der Resistenzprobleme, dies lässt für die Zukunft neue, industriell gefertigte antibiotikahaltige Knochenzemente erwarten.

Zur Historie von Knochenzement
47 Jahre Erfahrung kann niemand ersetzen
Ein künstlicher Gelenkersatz basiert idealerweise auf langerprobten Werkstoffen. Besonders an den Knochenzement werden hohe Anforderungen gestellt: In den klinischen und toxikologischen Studien dürfen sich keine Hinweise ergeben, die die Patientensicherheit gefährden oder Mikrobewegungen zeigen, die eine Lockerung des Implantats begünstigen.
Diese Anforderungen erfüllt nicht jeder Werkstoff, fasst Dr. Klaus-Dieter Kühn zusammen. Bei Heraeus in Wehrheim sind 47 Jahre Erfahrung gebündelt:
• 1936 wurde die knetbare Masse aus vielen Methacrylat-Teilchen (PMMA) zum ersten Mal hergestellt, die noch bei 100 °C (Heißhärtung) aushärtete
• 1943 ließ die Heraeus die „Kalthärtung“ des Zementgemisches bei Raumtemperatur (Lufthärtung) patentieren 
• In den 50er-Jahren wurde, basierend auf obigen Erkenntnissen, der Knochenzement Palacos entwickelt
• 1958 verankerte der britische Orthopäde Sir John Charnley zum ersten Mal eine Hüftendoprothese mit gebogenem Schaft mit PMMA im Hüftknochen
• 1959 wurde „dazu“ der erste Knochenzement in Deutschland, Palacos von der Firma Heraeus, eingesetzt
• 1969 wurde das Indikationsspektrum erweitert, denn die Infektionsrate beim Hüfgelenkersatz mit dem Zwang einer Revision war in den 60er-Jahren bis zu sechsmal höher als heute.
Zusammen mit Prof. Buchholz in Hamburg entwickelte Heraeus erstmals einen antibiotikumhaltigen Knochenzement – hier erwies sich Gentamicin als geeignetes Antibiotikum 
• 1972 wurde Palacos R mit Gentamicin zugelassen. Seitdem produziert Heraeus erfolgreich Palacos mit und ohne Gentamicin
• Bis 2004 wurden die bewährten Knochenzemente ausschließlich über Vertriebspartner zur Verfügung gestellt und seit zwei Jahren direkt vermarktet.
Heute ist in der Schwedenstudie belegt, dass der Risikoquotient, der aseptische Lockerungen und Revisionen erfasst, mit gentamicinhaltigem Palacos R am niedrigsten ist.

 

Dr. Klaus-Dieter Kühn,Wehrheim

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