Hygiene

Geschlechtsspezifische Medikamente

08.12.2011 -

Neuste Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede im Stoffwechsel von Männern und Frauen: Diagnoseverfahren und Therapien sollen diese Differenzen in Zukunft berücksichtigen. 

Forscher des Helmholtz Zentrums München haben erhebliche Unterschiede bei Stoffwechselprodukten im Blut von Frauen und Männern aufgezeigt. Deshalb müsse die Entwicklung von geschlechtsspezifischen Therapien und Medikamenten vorangetrieben werden, schreiben die Wissenschaftler Prof. Dr. Thomas Illig und Dr. Kirstin Mittelstraß in der Fachzeitschrift „PLoS Genetics“. Ein Großteil der untersuchten Stoffwechselprodukte, vor allem Lipide und Aminosäuren zeigten geschlechtsspezifische Unterschiede. Dies könnte darauf hinweisen, dass Frauen und Männer etwa Medikamente anders in ihrem Körper aufnehmen und verarbeiten.

Erste Schritte der individualisierten Medizin

Die Wissenschaftler untersuchten dabei mehr als 3.000 Probanden der KORA (Kooperative Gesundheitsforschung im Raum Augsburg) Studie, die mit weit über 20.000 Teilnehmern eine der größten bevölkerungsbasierten Studie Deutschlands zur Untersuchung von Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen ist.

Die KORA Studie liefert die Basis, um die Auswirkungen und das Zusammenspiel von Umweltfaktoren, Verhalten und Genen zu untersuchen. Werden psychosoziale Faktoren, wie Lebensweise, kulturelle Gesichtspunkte und das Umfeld von Männern und Frauen, ebenfalls noch in die Auswertungen der Studien mit einbezogen, ergeben sich für die Erforschung der großen Volkskrankheiten weitere neue Aspekte der Unterschiedlichkeit zwischen Männern und Frauen. Diese Gesamtbetrachtung geschlechtsspezifischer Medizin ist ein wichtiger Faktor individualisierter Medizin.

Metabolitprofile von Männern und Frauen unterscheiden sich signifikant

In der Studie von Dr. Kirstin Mittelstraß und ihren Kollegen konnte gezeigt werden, dass die Metabolitenprofile von Männern und Frauen gravierende Unterschiede aufweisen. Das Metabolom einer Zelle oder eines Organismus ist das Produkt eines biochemischen Netzwerkes und unterliegt einer ständigen Dynamik. Es gibt also direkt Aufschluss darüber, welche Stoffwechselwege zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter definierten Bedingungen aktiv sind. Die Bestimmung der Konzentration eines Analyten zu verschiedenen Zeitpunkten und bei unterschiedlichen Bedingungen ermöglicht also letztendlich Aufschluss über Veränderungen im Organismus.

Die in der KORA Studie untersuchten Probanden wiesen deutlich höhere Konzentrationen an bestimmten Lipiden (Fetten) wie zum Beispiel Sphingomyelinen und Phosphatidylcholinen im Blutserum bei Frauen als bei Männern auf. Diese Lipide spielen eine zentrale Rolle bei vielen Volkserkrankungen wie z. B. Herzinfarkt und Schlaganfall. Die Konzentrationen der meisten untersuchten Aminosäuren und Acylcarnitinen waren hingegen bei Männern signifikant höher als bei Frauen. Die Metabolite wurden mithilfe der Biocrates-AbsoluteIDQtm- Technologie analysiert, Im nächsten Schritt soll die Zahl der untersuchten Stoffwechselverbindungen ausgeweitet aber auch weitere Studien sollen unter geschlechtsspezifischen Aspekten ausgewertet werden. Dadurch erhoffen sich die Wissenschaftler, die Entstehung der großen Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus besser zu verstehen und daraus neue Angriffspunkte für Diagnose, Therapie und Vorbeugung ableiten zu können. „

In ihrem molekularen Profil müssen Männer und Frauen in zwei komplett unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden“ so Prof. Illig.

Geschlechtsspezifische Einflüsse von DNA-Polymorphismen auf den Stoffwechsel

Aber nicht nur Unterschiede im Metabolitenprofil von Männern und Frauen konnten aufgezeigt werden, sondern auch genetische Einflüsse auf den Stoffwechsel zeigten sich geschlechtsspezifisch. Die Kombination von Metabolomik (Gesamtheit der Stoffwechselprodukte = Metabolite) und Genomik (Gesamtheit der genetischen Information) gibt uns einen klaren Hinweis auf Ursache und den Verlauf von Krankheiten.

In der Studie des Helmholtz Zentrums München wurden DNA-Polymorphismen (Einzelbasenaustausche = Single nucleotide polymorphisms = SNPs), die in der Bevölkerung in unterschiedlicher Form auftreten und somit zu Veränderungen der Proteinmenge oder Proteinfunktion führen können, mit kleinsten Molekülen im Blutserum (Metabolite) in Verbindung gesetzt. Diese Metabolite geben uns Informationen über den „Ist“-Zustand des Stoffwechsels der untersuchten Personen. Die Genetik kann uns einen Teil der Ursache, der Veränderungen aufzeigen. Die Genetik alleine kann uns aber nicht sagen, welche Stoffwechselwege sich durch die Polymorphismen des Genoms verändern. Daher ist es wichtig, die Gesamtheit des Organismus zu betrachten und verschiedene Techniken zu verknüpfen. Erst dadurch kann man erkennen, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in der Weitergabe der genetischen Information der weiteren Stoffwechselwege bestehen.

Prof. Dr. Thomas Illig und sein Team konnten in einer groß angelegten Studie, in der sie Daten von genomweiten Assoziationsstudien mit SNPs (genome wide association study = GWAS) und der oben beschriebenen Metabolomik Studie kombinierten, aufzeigen, dass DNA-Polymorphismen des Gens CPS1 (Carbamoylphosphat Synthethase 1) einen signifikanten Einfluss auf die Unterschiede der Glyzin-Konzentration im Blutserum von Männern und Frauen haben (siehe Abb.). Das Enzym CPS1 spielt eine entscheidende Rolle im Protein- und Stickstoffmetabolismus, wo es den ersten Schritt des Harnstoffzyklus in der Leber katalysiert. CPS1 katalysiert hierbei die Addition von Ammoniak, Kohlenstoffdioxid und ATP zu Carbamoylphosphat in den Mitochondrien. Carbamoylphosphat wird dann im Harnstoffzyklus, welcher für die Entsorgung des giftigen Ammoniaks und die Synthese von Arginin und Fumarat zuständig ist, unter Phosphatabspaltung auf Ornithin übertragen.

Aber nicht nur die Studie von Mittelstraß und Kollegen, sondern auch andere Studien konnten geschlechtsspezifische Unterschiede bei Stoffwechselprodukten aufzeigen. Somit ist es für die Forscher nur eine logische Konsequenz die Entwicklung geschlechtsspezifischer Medikamente voranzutreiben, um bessere Erfolge in Prävention und Therapie zu erzielen. Dank der Kombination von Genetik und Metabolomik, die sich auch in zwei weiteren Studien bereits bewährt hat, können die Wissenschaftler die biologische Auswirkung der identifizierten genetischen Risikofaktoren erkennen, was bei reinen genomweiten Assoziationsstudien nicht möglich ist. Männer und Frauen sind verschieden – ein genauer Blick auf die Stoffwechselprodukte könnte künftig ermöglichen, Risiken für Volkskrankheiten besser einzuschätzen. „Wir sind einen wesentlichen Schritt vorwärtsgekommen, komplexe Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes mellitus besser zu verstehen, woraus sich gleichzeitig neue Ansätze für die pharmazeutische Forschung ergeben“, erklären die Forscher Prof. Thomas Illig und Dr. Kirstin Mittelstraß.

Legende zur Abbildung

Systematischer Überblick der Unterschiede im Metabolitenprofil von Männern und Frauen der KORA Studie. Grüne Pfeile verweisen auf eine höhere Konzentration vonStoffwechselprodukten im Blutserum von Frauen im Vergleich zu Männern. BlauePfeile zeigen eine höhere Konzentration von Stoffwechselprodukten im Blutserum von Männern im Vergleich zu Frauen an. Die grüne Box im Harnstoffzyklus zeigt den genetisch determinierten Konzentrationsunterschied an Glyzin der Geschlechter auf.

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