KI aus Deutschland im Krankenhaus – funktioniert das?
26.05.2025 - Qualitative, sichere, souveräne und datenschutzkonforme große Sprachmodelle werden am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf entwickelt und implementiert.
Dokumentation ist für Ärzte, Pfleger und die übrigen, mit der Krankenversorgung befassten Mitarbeiter des deutschen Gesundheitswesens ein kaum hinterfragter Bestandteil des Arbeitsalltags. Während die digitale Behandlungsdokumentation initial vor allem der Abrechnung diente, hat sie sich seither weiterentwickelt und umfasst mittlerweile insbesondere auch klinische, medizinische Aspekte. Sie ermöglicht längst nicht mehr nur einen standardisierten Austausch von Leistungsziffern zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern, sondern hat einen direkten Mehrwert für die Patientenversorgung und ist integraler Bestandteil, insbesondere für die interne und externe Nachvollziehbarkeit klinischer Entscheidungen und des sich ergebenden Behandlungsverlaufes. Nicht zuletzt hat die sekundäre Nutzung der Behandlungsdokumentation einen hohen Stellenwert, beispielsweise für die Qualitätssicherung, in medicolegalen Fragen, aber auch für die klinische Forschung.
Dokumentationsaufwand in Krankenhäusern
Gegenüber den offensichtlichen Vorteilen einer idealerweise vollständig digitalisierten, umfassenden Behandlungsdokumentation stehen aber auch Herausforderungen: der unterschiedlich ausgeprägte Digitalisierungsgrad der deutschen Krankenhäuser, fehlende inhaltliche Vereinheitlichung bzw. mangelnde technische Interoperabilität und insbesondere der mit der Dokumentation verbundene Aufwand im Arbeitsalltag des medizinischen Personals. Durch stetig zunehmende Ansprüche und Anforderungen an medizinische Dokumentation hat sich der Dokumentationsaufwand für das medizinische Personal in den letzten Jahren kontinuierlich und deutlich erhöht. Dies betrifft die Pfleger gleichermaßen wie die Ärzte. Durch die Einführung neuer, digitaler Dokumentationssysteme für das im Klinikalltag involvierte Personal stieg der Aufwand in Observationsstudien zusätzlich. Die Krux liegt also darin, auf der einen Seite möglichst umfangreiche, strukturierte primär aber auch für verschiedene sekundäre Zwecke nutzbare, hochqualitative Daten im Rahmen der medizinischen Behandlungsdokumentation zu generieren, andererseits aber unbedingt den damit verbundenen Aufwand für das involvierte Personal möglichst gering zu halten. Künstliche Intelligenz (KI) und insbesondere große Sprachmodelle bieten enorme Potenziale, die es gilt, in diesen Bereichen zu explorieren und einzusetzen.
KI im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Um den administrativen Aufwand sowohl für das medizinische Personal, als auch für das Verwaltungspersonal zu senken, setzt das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) seit Juli 2024 eine KI-gestützte Arztbriefschreibung und seit Januar 2025 eine KI-basierte Spracherkennungssoftware ein. Beide Lösungen wurden von der IDM entwickelt, einem im Februar 2024 gegründeten gemeinnützigen Tochterunternehmen des UKE. Die eingesetzten KI-Modelle wurden auf der medizinischen Dokumentation von über sieben Millionen Behandlungsfällen trainiert und sind inzwischen fester Bestandteil des klinischen Alltags. Das Training der Modelle erfolgt unter strengen Sicherheitsmaßnahmen, nach vorheriger De-Identifizierung und auf einer eigenen, lokalen, leistungsstarken technischen Infrastruktur. Somit verlassen die Daten zu keinem Zeitpunkt, weder im Training, in der Entwicklung, noch in der Anwendung das Krankenhaus.
Das große klinische Sprachmodell ARGO und die Arztbriefschreibung ARGO Clinical Letters (ARGO-CL), die erste auf ARGO basierende Anwendung, sind die ersten Ergebnisse. ARGO-CL unterstützt Ärzte bei der Erstellung von Entlassberichten. Das Modell verarbeitet die vollständige digitale Patientenakte, darunter u. a. klinische Notizen, diagnostische Befunde, Prozedur- und Operationsberichte, Medikationsverläufe und Laborwerte, um einen Vorschlag für die Epikrise des Entlassberichts zu generieren. Dies erspart Ärzten viel Zeit, die für die direkte Patientenversorgung genutzt werden kann. Außerdem schafft die Verwendung der primären Dokumentation für – in diesem Fall – die automatisiert unterstützte Arztbriefschreibung einen direkt spürbaren Mehrwert für die Erzeuger der primären Dokumentation und damit einen Anreiz für eine hohe Dokumentationsqualität. Nicht zuletzt können so die Finalisierung und eine zeitnahe Versendung der Briefe beschleunigt werden, was einer raschen, gut informierten Weiterbehandlung zugutekommt.
Grundlage für die Entwicklung von ARGO ist eine umfassende, vollständig KI-getriebene Aufbereitung der in elektronischen Patientenakten enthaltenen Gesundheitsdaten, die es ermöglicht, diese Daten nutzbar zu machen, ohne den Dokumentationsaufwand bei der Erfassung zu erhöhen. Dieser innovative Ansatz bietet einen enormen Mehrwert, der nicht nur für ARGO-CL geeignet ist, sondern skalierend und generell die Entwicklung vieler weiterer datengetriebener medizinischer Anwendungen ermöglicht. Dieser Mehrwert dient unmittelbar dem medizinischen Personal, ohne, dass weitere, zusätzliche Anforderungen an die Dokumentation gestellt werden.
Neben ARGO entwickelt die IDM mit AUREON eine KI-basierte Spracherkennung, die auf die deutsche, medizinische Sprache optimiert ist und ein Diktieren in natürlicher Sprache ermöglicht. Bereits seit ihrer Einführung im Januar 2025 steht AUREON nicht nur ausgewählten Ärzten, sondern unbeschränkt dem gesamten medizinischen und administrativen Personal im UKE zur Verfügung. Dadurch erhalten alle Mitarbeiter Zugriff auf ein praktisches Werkzeug, das Spaß macht und lästige Dokumentationsaufgaben reduziert. Während Pflegekräfte ihre Pflegedokumentation und Physiotherapeuten ihre Behandlungsdokumentation rascher vervollständigen, kann gleichermaßen die Verwaltung mit AUREON Dokumente oder E-Mails verfassen.
Die IDM entwickelt ARGO-CL und weitere innovative Anwendungen nicht nur für das UKE, sondern möchte sie als gemeinnütziges Unternehmen dem gesamten deutschen Gesundheitswesen zugänglich machen. Seit April 2025 wird AUREON in externen Krankenhäusern eingeführt.
Die souveräne Nutzung von Gesundheitsdaten
Was heute umgangssprachlich häufig als KI-Modell bezeichnet wird, sind große Sprachmodelle, die auf der Architektur der generativen, vortrainierten Transformer (engl. generative pre-trained transformers; GPT) beruhen. Diese Text-, aber auch Bilder- oder Ton- und Sprache-generierenden GPT-Modelle wurden auf riesigen Datensätzen ohne einen speziellen Anwendungsfall – wie im vorgenannten Beispiel die Arztbriefschreibung – vortrainiert und haben damit Wissen über diese allgemeinen Datensätze gelernt. Die Modellarchitektur erlaubt dem Modell, Zusammenhänge in Texten (oder Bildern, oder anderen Daten) zu erkennen und für zutreffendere Antworten zu nutzen. Das initiale Training dieser großen KI-Modelle stellt eine besondere Herausforderung dar, da große Datenmengen und sehr umfangreiche Rechenressourcen erforderlich sind. Allgemein werden Sprachmodelle in der Regel überwiegend auf großen Textsammlungen aus dem Internet („Common Crawl“) und weiteren Quellen trainiert, die gerade bei proprietären Modellen nicht immer offenliegen.
Für medizinische KI-Anwendungen ist die Entwicklung und das Training der KI-Modelle mit echten Patientendaten allerdings unerlässlich. So zeigen allgemein vortrainierte Modelle (Generalisten) zwar beeindruckende Ergebnisse in technischen Leistungsvergleichen, wie auch den deutschen medizinischen Staatsexamina, haben aber insbesondere bei klinischen Entscheidungen auf Basis der Patientenakte und insbesondere bei ihren Begründungen noch Schwierigkeiten. Studien konnten ebenfalls einen relevanten Bias dieser Modelle hinsichtlich beispielsweise ethnischer Minoritäten nachweisen, der sich direkt auf klinische Entscheidungen dieser Modelle auswirkte. Allgemeine Modelle konnten bisher aber nicht oder nur kaum auf echter medizinischer Behandlungsdokumentation trainiert werden. Zudem ist davon auszugehen, dass sich Dokumentationsstandards international unterscheiden. Die Entwicklung von spezialisierten Modellen, insbesondere auf Basis der medizinischen Behandlungsdokumentation aus Patientenakten des deutschen Gesundheitswesens, hat dementsprechend ein hohes Potenzial für bessere Ergebnisse in der klinischen Anwendung solcher Modelle in Deutschland. Zuletzt erscheint die Entwicklung spezieller KI-Modelle im Angesicht der fehlenden Kontrolle und Überprüfbarkeit über proprietäre Modelle fast unerlässlich.
Umfangreiche Gesundheitsdaten, die für die Entwicklung solcher großen Sprachmodelle und die entsprechenden Spezialisten-Modelle erforderlich sind, haben einen enormen Wert, denn aus trainierten Modellen lassen sich zahlreiche Anwendungen entwickeln, die jetzt beginnend und in Zukunft eine erhebliche Relevanz in der Patientenversorgung haben werden. In Deutschland wurden solche Daten von Patienten in Not und durch ein öffentlich finanziertes, solidarisches Gesundheitswesen erhoben. Dass die Wertschöpfung aus diesen Daten sinnvoll ist, weil sie die Patientenversorgung noch qualitativer, effizienter und sicherer machen können, erscheint im Angesicht der ersten erfolgreichen Anwendungen logisch und konsequent.
Dass diese Wertschöpfung aber primär dem Wohl der Patienten und dem medizinischen Personal dienen sollte, ist nicht unbedingt gegeben. Die IDM am UKE wurde gegründet, um sinnvoll und mit höchsten wissenschaftlichen und klinischen Ansprüchen, souverän aus Deutschland und für ein starkes und unabhängiges deutsches Gesundheitswesen, Patientendaten für die Entwicklung großer Sprachmodelle einzusetzen. Die Gemeinnützigkeit und Struktur der IDM stellen sicher, dass die Ergebnisse allein einer noch besseren, effizienteren und sichereren Patientenversorgung und gleichzeitig einer Entlastung des medizinischen Personals zugutekommen.
Das von der IDM angestrebte digitalmedizinische Ökosystem um herausragende, auf vollständigen, echten und qualitätsgesicherten Gesundheitsdaten trainierte KI-Modelle bietet ein enormes Potenzial. Diese Modelle, entwickelt und eingesetzt in einem offenen und gemeinnützigen Ökosystem, bilden eine wichtige Ressource für digitalmedizinische Anwendungen. Durch ihre Implementierung im deutschen Gesundheitswesen wird künstlicher Intelligenz in unserer Patientenversorgung demokratisiert, auf eine souveräne Basis gesetzt, und kann – trotz höchster Ansprüche an Sicherheit, Datenschutz und Compliance – beschleunigt werden.
Autoren: Marlon Tessarzyk, Jan Bremer, Dr. Nils Schweingruber, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg und Dr. Julius Obergassel, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung e.V., Standort Hamburg/Kiel/Lübeck
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