OneViewMed: Alle Patientendaten aktuell und auf einen Blick
11.08.2025 - Mit OneViewMed zeigen die Universitätsmedizin Frankfurt und das Fraunhofer IESE, wie Krankenhäuser Daten sinnvoll vernetzen und hierdurch ihre Prozesse nachhaltig verbessern können.
Digitalisierung im Gesundheitswesen ist kein Selbstzweck ─ sie soll vor allem eines leisten: die Versorgung von Patienten verbessern und das Klinikpersonal entlasten. Doch noch immer kämpfen viele Kliniken mit ineffizienten Datensilos und mangelnder Interoperabilität ihrer IT-Systeme. Daten mehrfach erfassen, Informationen manuell übertragen ─ das gehört in vielen Kliniken zum Alltag. Das kostet Zeit, führt zu Fehlern und gefährdet im schlimmsten Fall die Sicherheit von Patienten.

Kliniken sind hochkomplexe Organisationen. An der Universitätsmedizin Frankfurt (UMF) beispielsweise sind über 400 verschiedene IT-Systeme im Einsatz, viele davon spezialisiert auf einzelne Fachbereiche oder Anwendungen. Doch je mehr Systeme eingesetzt werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die einzelnen Programme nicht miteinander kompatibel sind. So werden elektronische Gesundheitsdaten in der Regel zwar in Krankenhausinformationssystemen (KIS) verwaltet, auf den einzelnen Stationen kommen jedoch unterschiedliche Systeme zum Einsatz, die häufig keinen direkten Datenaustausch untereinander ermöglichen.
Fehlende Interoperabilität zwischen Stationen
Als besonders kritisch zu erachten ist eine fehlende Interoperabilität zwischen Systemen der Intensivstation und der Normalstation. Während auf der Intensivstation nur Kerndaten wie Vitalparameter, Medikation und Untersuchungsbefunde erfasst werden, liegen alle weiteren relevanten Daten wie Arztbriefe, Laborbefunde und OP-Berichte im KIS der Normalstation vor. Die Übertragung dieser Informationen erfolgt in Kliniken oftmals manuell oder durch die Erstellung eines PDF-Dokuments und die anschließende Übertragung in das nachfolgende System (KIS) ─ ein aufwändiger und fehleranfälliger Prozess. Die meisten Ärzte der Normalstation haben wiederum keinen Zugriff auf das System der Intensivstation, sodass die Informationsbeschaffung sehr aufwändig sein kann.
Im Rahmen des vom hessischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur geförderten Digitalisierungsprojektes „Digitales Universitätsklinikum Frankfurt“ entwickelte das Fraunhofer IESE mit OneViewMed (One Viewpoint for Medical Information in Clinical Contexts) eine Lösung zur interoperablen Darstellung der Daten, um das Problem an der Schnittstelle zwischen den beiden Stationen zu lösen. Das Ergebnis: Ein zentrales Dashboard, das Patientendaten in Kontexte zusammenführt, visualisiert und dadurch klinische Prozesse nachhaltig verbessert.
Alle relevanten medizinischen Daten auf einen Blick
OneViewMed ist ein Dashboard, das auf einem FHIR-Server (Fast Healthcare Interoperability Resources) für die Datenhaltung aufsetzt, darin national abgestimmte Datenstandards (FHIR-Profile) implementiert und eine nahtlose Integration verschiedener Systeme ermöglicht. Ziel ist es, Ärzten im Kontext der Verlegung alle relevanten Informationen auf einen Blick zur Verfügung zu stellen, ohne dass manuelle Übertragungen oder aufwändige Datenabgleiche notwendig sind. Das vom Fraunhofer IESE entwickelte System führt relevante Patientendaten aus verschiedenen Systemen in einem übersichtlichen Dashboard zusammen. Damit erhalten Behandelnde genau die Informationen, die sie für eine sichere und effiziente Weiterbehandlung benötigen ─ aktuell, strukturiert und auf einen Blick. Bei der Entwicklung wurde besonderer Wert darauf gelegt, klinische Prozesse auch neu zu denken und nicht nur bestehende Abläufe zu digitalisieren. Dies erfordert ein umfassendes Ende-zu-Ende-Denken, das sowohl technische als auch organisatorische Aspekte berücksichtigt. Nur so entstehen Lösungen, die sich nahtlos integrieren lassen, das gesamte Potenzial der Digitalisierung schöpfen und so langfristig Mehrwert für alle Beteiligten schaffen.
Basis des Dashboards ist eine FHIR-basierte Datenplattform, die Informationen aus unterschiedlichen Systemen in ein einheitliches Format überführt. FHIR gilt als moderner Standard für den interoperablen Austausch von Gesundheitsdaten und ermöglicht es, bisher inkompatible Systeme miteinander zu verbinden. So können die Daten aus den beiden Systemen der Intensivstation und der Normalstation im Dashboard zusammengeführt und dargestellt werden. Das Dashboard selbst erfasst oder erzeugt keine Daten. Es dient vielmehr dazu, vorhandene Daten im Klinikalltag sichtbar und nutzbar zu machen. An der Universitätsmedizin Frankfurt existiert eine Interoperabilitätsplattform, die unter anderem die Bereitstellung einer FHIR-basierten Datenplattform unterstützt.
Praxisorientierte Entwicklung
Je komplexer ein System ist, desto größer ist die Herausforderung bei der Bedarfsanalyse, der Einbindung von Stakeholdern sowie der Entwicklung und Umsetzung. Der Erfolg einer digitalen Lösung hängt dabei maßgeblich von der Akzeptanz der Stakeholder ab. Die Entwicklung von OneViewMed erfolgte daher konsequent nutzer- und praxisorientiert. Das medizinische Personal wurde eng in die Entwicklung eingebunden. Workshops, Interviews sowie Hospitationen auf Intensiv- und Normalstationen stellten sicher, dass die Lösung die tatsächlichen Bedürfnisse der Anwender adressiert. Durch ein iteratives Vorgehen konnte das Dashboard eng am realen Klinikalltag ausgerichtet werden. Darüber hinaus wurde das System so konzipiert, dass es auch in Zukunft einfach erweitert werden kann und proprietäre Abhängigkeiten vermieden werden.
Die Kernfunktionen des Dashboards
OneViewMed ist kontextsensitiv und workfloworientiert gestaltet. Das bedeutet, dass immer nur die Informationen angezeigt werden, die für die aktuelle Situation relevant sind. Der Prototyp stellt die wichtigsten Daten für den Anwendungsfall „Verlegung von der Intensivstation auf die Normalstation“ in übersichtlichen Ansichten dar. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf eine klare und strukturierte Darstellung der Medikation und des Allergiestatus gelegt, da hier Fehler bei der manuellen Übertragung schwerwiegende Folgen haben können.
Die Startseite der Anwendung zeigt eine Stationsübersicht mit allen Patienten und hervorgehobenen Neuaufnahmen. Bereits hier sind die wichtigsten Informationen wie Stammdaten, Diagnose, Infektionsstatus und Allergien auf einen Blick ersichtlich. Für alle Patienten steht darüber hinaus eine Detailansicht mit umfassenden Informationen zur Verfügung. Hier wird der gesamte klinische Behandlungsverlauf als zeitliche Abfolge von u.a. Befunden, Prozeduren und Dokumenten dargestellt. Dadurch kann sich das medizinische Personal schnell einen ganzheitlichen Überblick verschaffen, was insbesondere bei kurzfristigen Verlegungen einen echten Mehrwert darstellt. Im Bereich „Medikation“ werden Aufnahme- und aktuelle Medikation gegenübergestellt sowie ein chronologischer Verlauf der vorangegangenen Medikation dargestellt. Ärzte können sich so beispielsweise schnell und einfach einen Überblick über die Antibiotikatherapie eines Patienten verschaffen und Resistenzen erkennen, die eine Änderung der Medikamentengabe erforderlich machen. Ein weiteres zentrales Element ist das integrierte Aufgabenmanagement. Um eine sichere und vollständige Verlegung zu gewährleisten, werden relevante Aufgaben abgebildet, die im Rahmen der Verlegung zu bearbeiten sind. Je nach Station werden diese Aufgaben in eigenen Listen, durch Standard Operating Procedures (SOPs) oder fallbezogen durch das behandelnde Personal definiert.
OneViewMed als Vorbild für weitere Kliniken
OneViewMed zeigt, wie Interoperabilität praktisch gestaltet werden kann, wenn klinische Prozesse, technische Standards und Anwenderbedürfnisse zusammengebracht werden. Die Schnittstelle zwischen Intensiv- und Normalstation ist erst der Anfang an der UMF. Zukünftig soll OneViewMed auch in anderen Abteilungen des Klinikums eingesetzt werden. Als Open-Source-Lösung kann OneViewMed zudem als Blaupause für andere Kliniken dienen: Weg von isolierten Datensilos, hin zu vernetzten, nutzbaren Informationen ─ und zu einer Patientenversorgung, die den digitalen Wandel wirklich nutzt.
Autoren: Stefanie Ludborzs, Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE, Kaiserslautern und Dr. Michael von Wagner, Universitätsklinikum Frankfurt
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