IT & Kommunikation

World Health Care Congress in Barcelona

18.03.2012 -

World Health Care Congress in Barcelona. So lautet inzwischen das „Om Mani Padme Hum” der Beobachter im Public Health-Umfeld: die Gesellschaften der westlichen Welt altern; für die Versorgung einer wachsenden Zahl chronisch Kranker sowie multimorbider älterer Menschen stehen durch einen schrumpfenden Arbeitsmarkt immer weniger Finanzmittel zur Verfügung. Dieses allerorten wiederholte „Mönchsgebet“ stößt zunehmend im Kreis der Politik auf Gehör – und ebenso bei Lösungsanbietern, die neue Herangehensweisen ermöglichen. Auswege aus der drohenden Misere präsentierte der World Health Care Congress; er versammelte Ende März in Barcelona Politiker, Forscher und Top-Manager aus der Leistungserbringung. Mit der zukunftsgerichteten Forderung nach „personalisierter, wirksamerer, „proaktiver“ medizinischer Versorgung in einem völlig veränderten Rahmen“ – der Kernaussage des Kongresses – sollten sich auch Krankenhausentscheider auseinandersetzen.

Bioinformation und personalisierte Versorgung

Zu den Wegen, die zur gesicherten Versorgung in der Zukunft führen, zählt auf Volumendaten gestützte Forschung: Der Kreislauf, der in Gang gebracht werden muss, beginnt beim Sammeln von Daten, wie im Beispiel der UK Biobank. Systemarchitekt Andy Harris beschrieb in Barcelona dieses immense Projekt: Landesweit werden 500.000 beteiligungswillige Menschen im Alter von 49 bis 60 Jahren identifiziert. Relevante Gesundheitsinformationen – physiologische Werte und Laborergebnisse – werden gesammelt und datentechnisch wie in Form von Proben verfügbar gehalten; so wird das Zentrum nahe Manchester für diese Menge an Material rund 70.000 l Stickstoff pro Woche verbrauchen. „Über 30 Jahre hinweg wird dann der Gesundheitsverlauf dieser Gruppe verfolgt und dokumentiert – als Datengrundlage für Leistungserbringer, Forschung und Industrie“, so Harris. Das Datenmanagement geschieht über Spezialapplikationen, zur Archivierung wird ein Rechenzentrum ebenfalls nahe Manchester genutzt; die HL7- Datenbank basiert auf Oracle Healthcare Transaction Base. Die Entwicklung von Data Warehouse, Analysetools und Außenzugriff auf Daten aus dem NHS etc. ist für Ende 2007 vorgesehen.

In gewisser Weise führen solche Ansätze die Genforschung weiter, die bei der Identifikation von Grundbedingungen für Erkrankungen Fortschritte macht: Informationen zum Bakterien- und Viren-Mix der Beteiligten werden integriert – „wir tragen rund 1,5 kg an Viren und Bakterien mit uns herum, die Einfluss auf unseren Körper nehmen. Was wir essen und atmen, bestimmt maßgeblich unsere Gesundheit mit“, unterstrich Prof. Michael Thick, Clinical Officer of NHS Connecting for Health. „Neue Diagnosetechniken erlauben bereits heute vor Ort die rasche Feststellung des Gesundheitsstatus eines Patienten, mit ersten Vorhersagemöglichkeiten zur Vermeidung von Krankheitsausbrüchen“, fuhr er fort. Dieses Potential wird bislang jedoch so gut wie nicht genutzt; ferner, so der Experte, stehen immer größere Volumina an wertvollen klinischen Daten zur Verfügung, die Diagnose und Therapie optimieren könnten; was fehlt, sind Werkzeuge zu ihrer Interpretation. So beeinflussen schon geringe DNA-Variationen und Varianten in der Leberfunktionalität die individuelle Reaktion auf Wirkstoffe, und eine personalisierte Dosisbestimmung hilft in 20–40 % der Fälle Probleme vermeiden … Probleme, die auch in verlängerten Liegezeiten resultieren. Der Bedarf an Herceptin-Gaben lässt sich am Brustkrebs-Marker HER-2/neu, die Eile des Therapiebeginns etwa bei Diabetes I und Rheuma lässt sich an Markern und Antikörpern ablesen. Die Voraussetzung ist die Verarbeitung enormer Datenmengen je Fall, die sich nicht auf „Verdachtsmomente“ beschränken, sondern möglichst breit ansetzen sollte, um sämtliche Gesundheitsrisiken abzudecken.

Prof. Thick: „Die in UK für elektronische Patientenakten und Infrastruktur bereitgestellten 5 Mrd. GB-£ sind gut eingesetzt, wenn wir statt Prüfung auf Einzelverdacht einer Indikation jeweils ein komplettes Patientenprofil erstellen.“ Dieser Ansatz, der bei NHS Connecting for Health jetzt zum Test ansteht, könnte – so Prof. Thick – durch eine Teilautomatisierung der ärztlichen Entscheidungsfindung die Arbeit der Mediziner künftig deutlich verändern. Hans Hillege, General Manager, Trial Coordination Center am University Medical Center im niederländischen Groningen, beschrieb die suboptimale Forschungssituation bei Patienten mit Herzversagen: unangemessen zusammengestellte Kohorten und Nichtbeachtung von Einflussfaktoren lassen Studienergebnisse fraglich erscheinen. Hillege schlug eine Herangehensweise vor, die über die konventionellen Beobachtungsfaktoren hinausgeht: Behandlungsentscheidungen sollten Alter, Geschlecht, Rasse, Komorbiditäten, genetische Bedingungen etc. einbeziehen – wie bei Harris und Prof. Thick eine Aufgabe, die Mediziner gemeinsam mit Informatikern zu leisten haben. In eine Personalisierung der Versorgung haben dann Koordination der Behandlung, Ermöglichung von Lebensqualität in Eigenständigkeit etc. einzufließen.

Lebensbegleitendes Monitoring als „Business“

Solche Projekte sollen vielfältigere, aussagekräftigere Daten als bisher für die Forschung liefern – interoperabel und als Teil eines Gesamtsystems mit dem Ziel Diagnosen präziser und früher zu liefern und den Ausbruch von Krankheiten zu vermeiden. Krankenhäuser können hieran partizipieren, indem sie sich in den Wertschöpfungszyklus von Datengenerierung und -nutzung integrieren. Neue Horizonte öffnen sich – neben den verbleibenden Akutfällen – dort, wo präventiv oder postakut Patientenmonitoring betrieben wird. Hier – so ein Sprecher von Cap Gemini – können Krankenhäuser zum „Nervenzentrum“ werden, wo Patientendaten, auch zur Compliance, zusammenlaufen und geprüft werden, und wo bei Auffälligkeiten Aktionen angestoßen werden. Im Rahmen der integrierten Versorgung gibt es hier für Krankenhäuser attraktive Geschäftsmodelle – so Stephan Rau von McDermott Will & Emery.

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