Gesundheitsökonomie

Krankenhäuser bereit für den Wandel? - Entscheidend für den Erfolg ist die Fähigkeit, Veränderungen zu begreifen und umzusetzen

20.11.2012 -

Krankenhäuser bereit für den Wandel? - Entscheidend für den Erfolg ist die Fähigkeit, Veränderungen zu begreifen und umzusetzen. In Management & Krankenhaus 3/2006 wurde beschrieben, wie sehr sich Betriebe fast automatisch in einem „organisatorischem Autismus“ verfangen. Regelmäßig suchen alle Beteiligten bei Problemen oder Entscheidungen nach „systemimmanenten“ Lösungen.
Das, was bisher funktionierte, ist die gedankliche Grundlage, um Lösungen zu finden. Dass dabei oft nicht wirklich Neues entstehen kann, liegt auf der Hand.

Je größer der Problemraum, umso ausgeprägter ist diese Tendenz – und erfolgen diese Problemlösungen in Gruppen, wird diese Tendenz nochmals verstärkt.
Argumentation und Diskussion erfolgen unter Referenz auf die bis dahin entwickelte Arbeitsorganisation. Das System hat sich in einem „vicious circle“ gefangen (Masuch 1985).
Nehmen wir als Beispiel die Bestrebungen, neue Arbeitszeitmodelle in Anlehnung an die EU-Entscheidungen zum Bereitschaftsdienst einzuführen. Die Einführung von Schichten, die Verteilung ärztlicher Arbeitskraft auf einen Zeitraum zwischen 7.00 und 20.00 Uhr erfordert eine gründliche Neuorganisation der Aufgabenverteilung bis hin zu der Entscheidung, wie die Kommunikationsprozesse (Teamsitzungen, Abteilungsrunden, Visiten etc.) künftig organisiert werden sollen.
Gleichzeitig sind die kooperierenden Funktionsbereiche einzubeziehen und haben ihre Arbeitszeiten ebenfalls auf neue Anforderungen hin zu organisieren. Das wird zunächst als unmöglich und ineffizient abgelehnt und gelingt nur mit sorgfältiger Vorbereitung, breiter interdisziplinärer Beteiligung aller Anspruchsgruppen einschließlich Personalvertretung, vielen Gesprächen und vor allem entsprechend viel Zeit, die investiert wird.

Organisationen haben eine hohe strukturelle Kopplung
Je differenzierter und komplexer das System, desto höher ist auch die strukturelle Kopplung: keine Komponente kann ohne die andere verändert werden: der Integrationsgrad steigt und es zeigt sich eine wachsende Resistenz des Systems gegen Veränderung.
Die erlebte und erfahrene Wirklichkeit in den Köpfen der Mitarbeiter und Kollegen ist gleichzeitig Spiegel und Pendant der materiellen Wirklichkeit, ihre kognitiven Bezugssysteme sind mit dem Bestehenden bzw. Selbst-Geschaffenen abgestimmt, ihre Erlebens- und Verhaltensmodelle sind eingeprägt.

Schuld ist die „lokale Theorie
Denk- und Verhaltensmodelle konkretisieren sich in einer „lokalen Theorie der Arbeitsorganisation, der gängigen Übereinkunft darüber, „wie es hier läuft“. Sie ist das Pendant zur materiellen Gestalt der Arbeitsorganisation. Neulinge kennen das noch nicht, sie werden von den Mitarbeitern entsprechend eingeführt, übernehmen die vorgefundene Kultur und lernen sehr schnell, wie man sich zu verhalten hat, um das System störungsfrei zu halten. Sie werden in der Regel erfolgreich assimiliert.
Beide Wirklichkeiten – materielle Gestalt und lokale Theorie – führen dazu, dass das System immer Entscheidungen fällt, die systemimmanent bleiben. Jede Aktivität entgegen der systemischen Logik führt automatisch zu Widerstand und wird verteidigt z.B. mit dem Hinweis auf bislang Bewährtes, mit Verweisen auf fehlende Alternativen, auf verletzte Selbstreferenz, die als Legitimation eingeführt wird.
Es sind also nicht „unfähige“, „gleichgültige“, „widerborstige“ Mitarbeiter, die sich gegen Veränderungen sperren, es ist die „eigene Geschichte vergangener Erfolge, die eigene Realität des Systems, die Grundlage und Muster für selbstreferentiell erfolgende Fortsetzung abgibt“ und jeder Verletzung der erlebten Systemidentität entgegentritt.
Das gilt auch für die Wahrnehmung der Umgebung, seien es Patienten, Krankenkassen, Politik.
Eine Organisation ist nicht autark, sondern muss in einer Umgebung agieren und überleben – sie verfolgt neben dem Ziel der Selbsterhaltung ein Ziel, dass außerhalb ihrer selbst liegt und nur über den Austausch mit dieser Umgebung zu erreichen ist. Entscheidend ist aber, dass die Verfolgung dieses „äußeren Ziels“, z.B. Aufrechterhaltung der gesundheitlichen Versorgung, gerade dem Systemziel „Selbsterhaltung“ dient.
Man kann ausführlich über Kunden oder Patientenzufriedenheit reden, in Wirklichkeit rangieren diese Ansprüche – höchstens – gleichwertig neben anderen, die den internen Systemfunktionen dienen. Das System nimmt typischerweise seine Umgebung nur ausschnittsweise wahr und immer mit Blick auf die Selbsterhaltung.
Insofern heute langsam substantielle Veränderungsansprüche von außen an unsere Organisation Krankenhaus herangetragen werden, nehmen wir als Führungskräfte diese zunächst im besten Falle wahr: als Widerspruch zur bisherigen Gewohnheit, als neue Ansprüche der Umgebung. Die meisten Mitarbeiter nehmen diese überhaupt nicht wahr – sie passen nicht in die gewohnte Wirklichkeitskonstruktion, sie sind nicht selbstreferentiell.

Entscheidend ist die „Kultur der Veränderungsfähigkeit
Wenn die schlichte Faktizität unserer materiellen und immateriellen Wirklichkeit sich gegen jede Änderung zunächst sperrt, dann reicht es nicht aus, Entwicklung anzuordnen.
Diese Erkenntnis machten fast alle Branchen, und die Geschichte zeigt eine unübersehbare Schar von gescheiterten Projekten.
Führungskräfte spielen in diesen Prozessen eine wichtige Rolle. Sie können diese fördern oder hemmen, ganz verhindern aber nicht, denn dafür sind sie selbst weitgehend „auch nur“ Rollenträger und den Anforderungen der Rolle ausgeliefert.
Wie lange Entwicklungsprozesse dauern, wie schnell ein Krankenhaus sich auf neue Anforderungen einstellen kann, wie flexibel es im Wettbewerb mit anderen agiert, wie medizinisch und wirtschaftlich erfolgreich es sein wird, hängt von dessen Fähigkeit ab, zu lernen, Entwicklungen aufzugreifen, voranzutreiben und erfolgreich umzusetzen. Allerdings, Lernen kann nur der Mensch!
Eines sollte uns dabei optimistisch stimmen: Sind Veränderungen erfolgreich umgesetzt, hat sich unmerklich die Kultur im Unternehmen verändert. Kultur ist immer eng verbunden mit der eigenen Geschichte von Erfolg und Misserfolg. Wer ein Krankenhaus zur erfolgreichen Qualitätszertifizierung führte, konnte spüren, dass diese Leistung sich im Bewusstsein vieler Mitarbeiter niedergeschlagen hat und Teil ihrer Geschichte wurde.
Dieses Bewusstsein wird sie befähigen, neue Herausforderungen leichter anzunehmen, selbstverständlicher umzusetzen und im Verlauf dieser Prozesse (4–6 Jahre) eine neue, fest etablierte Kultur der Veränderungsfähigkeit zu schaffen, die das Unternehmen in die Lage versetzt, sich anzupassen, sich zu wandeln und neu zu erschaffen.

Literatur:
Kieser, Alfred und Herbert Kubicek, 1992: Organisation (3. Auflage). Berlin/New York: De Gruyter
Morgan, G., 1997, Images of Organization. London: Sage. Pugh
Baitsch, C.: Was bewegt Organisationen? Selbstorganisationen aus psychologischer Perspektive, Münster, New York, München, Berlin 2002
Masuch, M., 1985: Vicious circles in Organization. In: Administrative Science Quarterly, 30, 1985, S.14-33
Weick, K.E., 1985, Der Prozeß des Organisierens, Frankfurt a.M.
Jantsch, E., 1978, Erkenntnistheoretische Aspekte der Selbstorganisation natürlicher Systeme, in: Hejl et al. (Hrsg.), Wahrnehmung und Kommunikation, Peter Lang, Frankfurt a.M.

Kontakt:
Holger Richter
Klinikum Bremerhaven
Tel.: 0471/299-3100
Fax: 0471/299-3196
Holger.Richter@klinikum-bremerhaven.de
www.klinikum-bremerhaven.de

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