IT & Kommunikation

Künstliche Intelligenz unterstützt die Radiologie bereits jetzt

Was lernende Systeme zur computer-assistierten Diagnosefindung bringen können

30.03.2017 -

Intelligente Software könnte dem Radiologen künftig zumindest den Normalbefund abnehmen. Aber lassen sich so wirklich Personalkosten einsparen? M&K sprach mit Prof. Michael Forsting, Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie am Universitätsklinikum Essen, über die nahe Zukunft der Radiologie.

M&K: Was können intelligente Systeme zur Diagnosefindung besser als konventionelle?

Prof. Michael Forsting: Tatsächlich gibt es Computer-assistierten Diagnosesysteme (CAD) beispielsweise zur MR-Mammographie bereits seit längerem. Es ist jedoch relativ aufwändig, diese Systeme zu programmieren. Im Gegensatz dazu erlernen intelligente Systeme für sich selber Kriterien, wie eine Diagnose zustande kommt. Dazu müssen sie mit den richtigen Daten gefüttert werden, damit sie zu richtigen Ergebnissen kommen. Erreicht die Lernkurve ein Plateau, dann kann man dem System unbekannte Fälle vorlegen. Es entscheidet dann nach den diagnostischen Kriterien, die es selbst entwickelt hat. Der eigentliche Algorithmus ist also nicht mehr von Menschenhand programmiert. An Spielen wie Schach, Go oder Pokern wurde bereits gezeigt, wie gut dies funktioniert. Sie können ein System binnen 72 Stunden auf das Niveau eines Weltklassespielers trainieren.

Werden intelligente System besser als der Mensch?

Prof. Michael Forsting: Definitionsgemäß können Sie nicht schlechter sein als der Mensch. Dies hängt nur davon ab, wie valide die Datensätze sind, die das System zum Lernen bekommt. Erlernt ein System die Mammografie mit Beispielen, bei denen die Diagnosen oft falsch sind, dann wird sich das System nicht bewähren können. Lassen Sie das System jedoch mit validen Daten lernen, dann kann es per definitionem nicht schlechter werden als der Arzt.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihrem System gemacht?

Prof. Michael Forsting: Unser System ist auf Lungenerkrankungen spezialisiert. Hier funktioniert es gut. Schon nach der Auswertung von hundert Datensätzen ist das System mindestens genauso gut wie der Radiologe. Wir sind aber nicht die einzigen auf der Welt, die mit solchen Systemen arbeiten. Andere haben ähnlich positive Erfahrungen mit dem Schlaganfall-CT oder Melanomen gemacht. Der Vorteil solcher Systeme ist: Sie vergessen nie. Sie werden immer besser und auch werden besser als der Mensch. Dies ist aber keine Revolution. Es ist eine langsame Evolution. Das PACS war eine Revolution. Bei uns gab es bis Freitagnachmittag Röntgenbilder, Montagmorgen gab es diese nicht mehr. Die neuen intelligenten Systeme kommen dagegen nicht von heute auf morgen. Es wird künftig immer mehr System für immer mehr Indikationen geben. Sie werden bislang von Ärzten überwacht. Tatsächlich spiegelt nicht jedes Röntgenbild genau eine Krankheit wieder. Es kann vieldeutig sein. Das klinische Bild muss passen, und hier prüft sicherheitshalber immer noch der Arzt. Die radiologischen Systeme lernen dagegen ganz schnell, wenn das Bild beispielsweise bei einer Fraktur eindeutig ist.

Wie lange wird es dauern, bis solche Systeme in der Breite eingesetzt werden?

Prof. Michael Forsting: Die notwendige Hardware, um mit solchen Datenmengen umgehen zu können, gibt es erst seit wenigen Jahren. In der Medizin dauert es länger, bis sich ein System bewähren kann, als beispielsweise beim Schach. Es benötigt valide Daten, um trainiert zu werden. Diese Daten sind in der Medizin nicht so einfach zu bekommen wie bei einem Spiel. Es fehlt auch die notwendige Datenstruktur. Das PACS ist nicht darauf ausgerichtet, ein intelligentes System nach Versuch und Irrtum anzulernen. Auch der Schutz sensibler Daten muss sichergestellt sein. Die Dauer, bis sich solche Systeme durchsetzen, hängt zudem davon ab, wie viele daran arbeiten und wer sich hier in welchem Umfang engagiert. Voraussichtlich wird es sukzessive kleinere Anwendungen für bestimmte Anwendungsgebiete geben. Selbst beim PACS hat es einige Zeit gedauert, bis es wirklich flächendeckend eingeführt ist. Vor 15 Jahren waren wir die erste Uni-Klinik in Deutschland, die damit arbeitete. Erst jetzt kann man von einer flächendeckenden Einführung sprechen.

Wird die Entwicklung zu strukturierten Befundberichten dies beschleunigen?

Prof. Michael Forsting: Das „Structured Reporting“ spielte eigentlich eher eine Rolle, als wir noch glaubten, dass Big Data und Data Mining der Schlüssel zu CAD sein würde, Ich glaube, wir sind mit unserem Denken über das „Structured Reporting“ von unserer intelligenten Software überholt worden. IBMs Watson benötigt beispielsweise keine strukturierten Befundberichte. Der kann mit Prosa umgehen. Verlage wie Thieme oder Springer können dies schon länger. Dies war auch ein Thema beim ETIM 2017 in Essen. Es wäre schön gewesen, das gehabt zu haben. Wir werden das künftig aber nicht mehr benötigen.

Es gibt aber auch rechtliche Hürden…

Prof. Michael Forsting: Es gibt auch medikolegale Hindernisse. Würde ein angenommenes System im Mammografie-Screening falsch liegen, dann wäre die Kritik sehr laut und der öffentliche Druck auf den Betreiber gewaltig. Voraussetzung für die Einführung ist also immer, dass das System schon bei Einführung besser ist als der Mensch. Leute, die glauben, intelligente CAD ließen sich rechtlich verhindern, liegen jedoch falsch. Im Labor sind vergleichbare Situationen längst durchgespielt und rechtlich geklärt worden.

Dies lässt ich analog auf die intelligente CAD übertragen. Systeme mit IT-gesteuerten Prozessen müssen sehr gut qualitätsgesichert sein.
Umgekehrt könnte es sogar dazu kommen, dass die intelligenten Systeme so gut werden, dass man beispielsweise die Diagnose nicht mehr anders stellen darf. Dies wird nicht nur für die Radiologie, sondern für zahlreiche Fächer relevant.

Wie gut lassen sich solche trainierten Programme für andere Kliniken nutzbar machen?

Prof. Michael Forsting:  Die Algorithmen lassen sich gut übertragen. In der Community wird zurzeit darüber diskutiert, wie die Daten strukturiert sein sollten, um solche Systeme mit validen Daten zu füttern. Am Ende wird es ums Geld gehen. Es ist noch nicht geklärt, wer damit Geld verdienen kann.

Da Sie das System trainieren, müssten auch Sie profitieren …

Prof. Michael Forsting: Noch ist es unklar, wer am Ende der große Player sein wird. Das können die Hersteller großer Geräte sein, das können Verlage mit Lernbüchern sein, es könnten aber auch die Uni-Kliniken mit tausenden an validen Datensätzen sein. Der Markt ist noch nicht sortiert. Im Moment arbeitet jeder für sich.

Sie arbeiten mit einem System von Google …

Prof. Michael Forsting: Das ist Free Ware. Es gibt mittlerweile viele Anbieter vergleichbarer Software, beispielweise IBM mit Watson. Damit kann man nicht mehr so viel Geld verdienen. Die Daten sind das Geld Wert.

Wann muss der Krankenhausmanager in solche Systeme investieren?

Prof. Michael Forsting: Seit einigen Jahren wird bereits in IT investiert. Den einzelnen Systemen sieht man nicht auf dem ersten Blick an, inwiefern künstliche Intelligenz schon eine Rolle spielt. Das muss nicht von oben nach unten gesteuert werden. Ärzte setzen auf die Systeme, die die Behandlung verbessen. Dabei kann Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz kommen, ohne dass dies offensichtlich wird. In dem Moment, in dem klar wird, dass solche Systeme besser sind als der Mensch, werden sie sich durchsetzen. Sie werden nur scheitern, wenn sie schlechter sind. Ärzte müssen allerdings keine Angst um ihre Jobs haben. Die Systeme könnten eher helfen, den deutschen und noch mehr den weltweiten Mangel an medizinischem Personal zu mildern. Die Medien finden natürlich Überschriften wie „KI schafft Ärzte ab“ toll. Das wird aber nicht passieren.

Mancher würde sich schon darüber freuen, würde KI helfen, die Personalkosten zu senken…

Prof. Michael Forsting: Auch da bin ich skeptisch. Bei der Einführung von RIS und PACS wurde ähnlich spekuliert. Man benötigt jetzt zwar tatsächlich keine Filme mehr. Dafür benötigt man Administratoren und die ständige Wartung von aufwändiger Soft- und Hardware. Ich glaube nicht, dass sich so etwas durchsetzen wird, bloß weil es billiger ist. Es geht um besser, schneller und sicherer.

 

Zur Person

Prof. Michael Forsting ist Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie am UK Essen und ist Medizinischer Direktor der Zentralen IT am UK Essen. Er ist Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie und war Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft. 2013 wurde er in die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina aufgenommen.

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