Gesundheitsökonomie

Zytostatika vorerst von der Umsatzsteuer befreit

23.11.2011 -

Von der Umsatzsteuer befreit sind laut Gesetzgeber eigentlich sämtliche Klinikbehandlungen. Doch in der Praxis stellt sich immer wieder die Frage, welche Leistungen tatsächlich umsatzsteuerfrei sind und welche nicht.

Ein konkretes Beispiel ist die (entgeltliche) Abgabe von Medikamenten, deren umsatzsteuerliche Behandlung trotz scheinbar klarer Rechtslage strittig ist.

Das deutsche Umsatzsteuergesetz regelt (in § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG) - eigentlich - eindeutig, wann Krankenhausleistungen umsatzsteuerfrei sind. Danach sind „Krankenhausbehandlungen und ähnliche Heilbehandlungen, einschließlich der Diagnostik, Befunderhebung, Vorsorge, Rehabilitation, Geburtshilfe und Hospizleistungen sowie damit eng verbundene Umsätze" befreit, wobei allerdings bei einzelnen Krankenhausträgern weitere Voraussetzungen zu beachten sind. Auch das EU-Recht, das bei der (seit Langem harmonisierten) Umsatzsteuer eine entscheidende Rolle spielt, befreit (in Art. 132 Abs. 1 Mehrwertsteuersystem-Richtlinie) die Krankenhausbehandlungen sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze.

Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, welche praktischen Probleme sich bei der Frage ergeben, welche Leistungen im Krankenhaus tatsächlich befreit sind und welche nicht.

Zentrale Bedeutung hat dabei derzeit die (entgeltliche) Abgabe von Medikamenten, deren umsatzsteuerliche Behandlung umstritten ist. Endgültige Rechtssicherheit wird wohl erst in einigen Jahren der Bundesfinanzhof schaffen, der sich bisher nur zu den Arzneimittellieferungen einer Krankenhausapotheke an Krankenhäuser anderer Träger - sog. „Lieferapotheke" - geäußert hat. Diese sind umsatzsteuerpflichtig (Urteil vom 18. Oktober 1990, Az.: V R 76/89, BStBl 1991, Teil II, S. 268), und zwar zum „Regelsteuersatz" von (derzeit) 19%, nicht etwa zum ermäßigten Steuersatz von (augenblicklich) 7%, allerdings verbunden mit einem (anteiligen) Vorsteuerabzug aus dem Wareneinkauf und aus den Sachaufwendungen der Apotheke, was im Einzelfall finanziell durchaus interessant sein kann.

Die Finanzverwaltung folgt (in ihrem „Umsatzsteuer-Anwendungserlass" vom 1. Oktober 2010) dieser Rechtsprechung und nimmt sie zum Anlass, eine Vielzahl weiterer (ähnlicher) Sachverhalte als umsatzsteuerpflichtig zu beurteilen, z.B. die entgeltlichen Medikamentenlieferungen an Privatambulanzen der Chefärzte, an Krankenhausmitarbeiter und Besucher, außerdem die Abgabe von Medikamenten durch Krankenhausapotheken an Krankenhauspatienten im Rahmen der ambulanten Behandlung.

Was den zuletzt genannten Sachverhalt anbelangt, ist derzeit die umsatzsteuerliche Beurteilung der Abgabe von Zytostatika an onkologische (ehemalige) Patienten eines Krankenhauses besonders umstritten. Es sind hierzu finanzgerichtliche Verfahren anhängig, z.B. beim FG Münster unter dem Az. 5 K 942/11 U sowie beim FG Kassel unter dem Az. 6 K 83/09.

Das FG Münster entschied in einem viel beachteten Urteil vom 12. Mai 2011 (Az. 5 K 435/09 U), dass die Abgabe von Zytostatika an Krankenhauspatienten im Rahmen ambulanter Krebstherapien umsatzsteuerbefreit ist. Es bezieht sich dabei ausdrücklich auf das EU-Recht und weist die anderslautende Auffassung der deutschen Finanzbehörden, die von einer Umsatzsteuerpflicht ausgeht, zurück. Allerdings ist die Revision vor dem Bundesfinanzhof für zulässig erklärt worden; das beklagte Finanzamt hat von dieser Möglichkeit zwischenzeitlich auch Gebrauch gemacht (Az. des BFH: V R 19/11).

Das FG Münster verweist - völlig zu Recht - darauf, dass die ambulanten Krebstherapien der Behandlung von Krebserkrankungen dienen und auf deren Heilung abzielen. Die in diesem Zusammenhang erfolgte Abgabe von Zytostatika ist eine Nebenleistung zur Krebstherapie, die nach den Gesamtumständen von der Krankenhausbehandlung nicht trennbar ist. Der Patient erhält nämlich im Rahmen einer Chemotherapie eine Behandlung, die hauptsächlich in der Verabreichung der Zytostatika unter ärztlicher Aufsicht in den Räumen des Krankenhauses besteht. Die daneben erbrachte zeitnahe und individuelle Herstellung der für die jeweilige Behandlung erforderlichen Medikamente stellt ein Mittel dar, um diese Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Ob die Heilbehandlung im Rahmen einer stationären Aufnahme der Patienten oder ambulant erfolgt, ist dabei unbeachtlich.

Die Abgabe von Zytostatika durch das Krankenhaus ist für die Krankenhausbehandlung als unerlässlich anzusehen. Dass die Patienten die Zytostatika auch in einer öffentlichen Apotheke erwerben und zur Behandlung in das Haus mitbringen könnten, ist ohne Belang. Ein vorheriger Erwerb in einer öffentlichen Apotheke nach Rezepterstellung durch den Klinikarzt ist schwerkranken Patienten nicht zuzumuten.

Auch eine - umsatzsteuerlich problematische - Wettbewerbssituation zu öffentlichen Apotheken hat das FG Münster - jedenfalls in dem entschiedenen Fall - nicht angenommen. Hierfür sprach zum einen eine Institutionsermächtigung nach § 116a SGB V, die dem betroffenen Krankenhaus erteilt worden war und die nur bei einer ansonsten nicht ausreichenden, ärztlichen Versorgung erteilt wird. Zum anderen berücksichtigte das FG Münster den Umstand, dass nur ca. 1% der öffentlichen Apotheken bundesweit überhaupt Zytostatika herstellen.

Wegen der beim Bundesfinanzhof anhängigen Revision und wegen der weiteren anhängigen Finanzgerichtsverfahren stellt sich für betroffene Krankenhäuser die Frage, wie sie sich (bis auf Weiteres, d.h. bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung) zweckmäßigerweise verhalten (sollen).

Um Vorwürfen, dass dem zuständigen Finanzamt umsatzsteuerlich relevante Zytostatika-Lieferungsumsätze nicht dem Grunde und der Höhe nach vollständig offenbart wurden - was steuerstrafrechtlich gewürdigt werden könnte -, von vornherein zu entgehen, sollten die entsprechenden Umsätze im Rahmen der Umsatzsteuererklärungen aufgezeigt werden. Andererseits sollte gegen alle Umsatzsteuerbescheide, in denen die Zytostatika-Abgaben als umsatzsteuerpflichtig behandelt werden, (fristgemäß) Einspruch eingelegt werden, damit keine Bestandskraft dieser Steuerbescheide eintritt und ggf. eine spätere Änderung zugunsten des betroffenen Krankenhauses erfolgen kann.

Ob auch ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung dieser Bescheide zweckmäßig ist, muss im Einzelfall entschieden werden. Dabei ist zu bedenken, dass sowohl Steuererstattungen als auch Steuernachforderungen (ab dem 16. Monat) mit Zinsen von jährlich 6% belegt werden. Sollte keine Aussetzung der Vollziehung beantragt werden (was eine Zahlung der Steuerschuld zur Folge hätte) und später die Steuerbefreiung doch (endgültig) gewährt werden, müsste das Finanzamt dem Krankenhaus - zwingend - jährlich 6% Zinsen auf die (zu Unrecht erhobene) Umsatzsteuer zahlen.

 

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